Wagners Instruktionen für die Aufführung
des "Lohengrin" in Weimar 1850
Szenische Vorschriften für die Aufführungen des »Lohengrin« in Weimar 1850
[2. Juli 1850]
Besondere Bemerkungen für die Szene.
Zum ersten Akt. Bühne.
A. Alte Eiche; auf der Wurzel- und Rasenerhöhung an ihrem Stamme steht ein sehr einfacher Steintisch auf welchem der König Gericht hält.
B. Baumgruppen. Nach den Seiten zu aufsteigenger Rasenboden, wie links (b) ebenfalls, so daß der eigentliche szenische Mittelraum tiefer als die Seiten und der Flußuferrand erscheint. (Durch dieses Aufsteigen nach den Seiten und dem Hintergrunde zu gruppieren sich die Männerchöre während der feierlichen Handlungen vorteilhast.)
C. Die Schelde, von rechts herfließend. (Rechts und links immer vom Zuschauer aus genommen.)
D. Landzunge, zwischen die Biegung des Flusses vorgehend und nach der Burg zu aufsteigend.
E. Burg von Antwerpen – fern.
F. Die Schelde in größerer Entfernung, von links herfließend. Hier gewahrt man Lohengrin zuerst im Kahne ankommend; der notwendigen Täuschung wegen muß hier Lohengrin von einem Kinde, in einem verhältnismäßig kleinen Kahne stehend, dargestellt werden. Erst nach einem kurzen Verschwinden dieses Kindes hinter den Bäumen rechts, kommt der Darsteller des Lohengrin selbst im größeren Nachen (und mit dem größeren Schwane) von rechts her auf der vorderen Schelde zum Vorscheine.
G. Punkt, von welchem aus das Erscheinen Lohengrins von dem Chore zuerst wahrgenommen wird.
H. Fernster Hintergrund: flache Gegend, unterbrochen durch einzelne Hügel mit Burgen.
Szene I. Sehr einfache Kleidung aller, auch des Königs, ohne allen Prunk: halbe Kriegskleidung, wollene Mäntel: alles ernst und schlicht gehalten. –
– Die Instrumente der vier Heerhornbläser müssen besonders angefertigt werden: sie spielen durch die ganze Oper eine nicht unwichtige Rolle, und weder unsere modernen Trompeten, noch auch Posaunen, würden, dem Charakter des Ganzen angemessen, schicklich zu gebrauchen sein. Es müssen dies 4 messingene, lange, posaunenartige Instrumente sein, von der allereinfachsten Form, ungefähr wie wir sie auf Kirchengemälden von den Auferweckungsengeln geblasen sehen.
Sie haben nur in C zu stimmen, und bedürfen bloß der Noten:
also von dem Umfang der Alt-Posaune, nur müssen sie länger sein als eine solche. (Die Verfertigung dieser Instrumente kann – ihrer größten Einfachheit wegen – unmöglich kostbar sein; auch können sie ja sonst, als szenischer Schmuck, oft weiter verwendet werden. – Die Bläser dieser Instrumente müssen ihre Stellen unbedingt auswendig lernen, damit sie nicht durch vorgehaltene Notenblätter stören: da sie fast immer dieselbe – sehr einfache musikalische Stelle zu blasen haben, brauchen sie sich nur die Eintritte zu merken, die ihnen vom Dirigenten leicht noch jedesmal durch einen Wink angezeigt werden können.)
Szene II. Das Abmessen des Kampfplatzes, der 16 Schritte im Umfang haben soll, geschieht folgendermaßen: – der Heerrufer steht bereits in der Mitte; die drei Kampfzeugen für Lohengrin schreiten (sogleich mit dem Eintreten des marschartigen Themas der Bässe) von links – der Seite des Königs –, die drei Kampfzeugen für Friedrich ebenso von rechts – der Seite der Brabanter – in der Weise nach der Richtung des zu bestimmenden Kreises (als dessen Mittelpunkt sie beständig den Heerrufer im Auge behalten) vor, daß sie mit den ersten acht Takten, auf deren jeden sie allemal einen Schritt machen, gerade ihre gegenseitigen Stellungen ausgetauscht haben. Nämlich:
Ausgangsstellung:
Stellung mit dem achten Takte:
Von da an schreiten sie – auf jeden Takt wiederum einen Schritt – in derselben Richtung so vor, daß mit dem 16. Takte der Kreis gebildet ist, nachdem der jedesmalige dritte Kampfzeuge zunächst – mit dem vierten Schritte, sodann der zweite – mit dem sechsten Schritte, endlich der erste – mit dem achten Schritte eine feste Stellung einnimmt.
Stellung mit dem 16. Takte:
In dieser Stellung strecken sie die Speere nach einander aus, indem sie mit den Spitzen den Nebenmann an der Schulter berühren, und stoßen sie sodann, mit dem 18. Takte, mitten zwischen sich in den Boden – worauf sie selbst sogleich in ihre Ausgangsstellung beiseite treten. – In der Mitte des durch die Speere jetzt abgesteckten Kreises steht nun der Heerrufer, und wendet sich an die Versammelten und an die Kämpfenden: dann tritt er aus dem Kreise zurück, und seine Stellung nimmt sogleich der König, von seinem Sitze unter der Eiche herabschreitend, ein. Alles folgende ist genau in der Partitur angegeben.
Zum zweiten Akte. Bühne.
A. Der Palas (Männersaal); turmähnliches Gebäude, – sehr altertümlich; Gemäuer noch aus der Römerzeit.
B. Turmtor, auf seiner Höhe blasen – in der 3. Szene – die zwei Wächter das Morgenlied. Durch das, später geöffnete, Doppeltor führt der Weg, an einer niederen Mauerbrüstung im Hintergrunde vorbei, die Burg hinab in die Stadt. Rechts ab von diesem Turme geht es in das Innere der Burg: von hier her treten in der dritten Szene zuerst die Dienstmannen, dann andere Burgbewohner auf, während andere brabantische Edle durch das geöffnete Tor selbst von unten – der Stadt her, aufsteigen.
C. Portal des Münster (byzantinisch): Stufen davor.
D. Die Kemenate (Wohnung der Frauen). Sie erscheint nach der Bühne zu ebenfalls turmartig. Elsas Wohnung befindet sich in dem ersten Stocke: zu dem Untergeschosse führt nur eine schmale Türe in den Burghof heraus, – gewöhnlich nur für die Dienerschaft: in der zweiten Szene tritt aber auch Elsa mit zwei Mägden durch sie auf, um auf dem schnellsten Wege zu Ortrud zu gelangen. Der vornehmere Eingang zu der Frauenwohnung ist im ersten Stockwerke durch eine weitere Pforte, welche auf den Söller herausführt. Durch sie tritt Elsa in der zweiten Szene zuerst auf. Der Söller geht rings um das turmartige Gebäude (von welchem man einen Zusammenhang mit einem weitläufigeren Gebäude nach links zu annehmen muß) herum, und führt nach hinten zu (dem Zuschauer zunächst nicht sichtbar) auf
E. einen breiten terrassenartigen Weg, welcher, an der rund sich biegenden Burgmauer hin, abwärts – zuerst nach dem Palas, und von da – an diesem vorbei – wieder abwärts sich senkend, bis zum Turmtore hin führt. Vor dem Palas bildet dieser Weg eine etwas nach vorn sich ausdehnende Terrasse, von welcher besondere Stufen wiederum unmittelbar nach dem Burghose hinabführen.
Das Höhenverhältnis des Terrains ist daher folgendes: – das Turmtor und der Münster stehen auf gleicher Ebene mit dem eigentlichen Hofraume; der Palas steht auf einem, um vier Fuß höheren Terrain; der erste Stock der Kemenate muß aber um zehn Fuß höher als der Hofraum liegen.
F. Die Steigung vom Turmtore bis zum Söller der Kemenate ist durch natürliche Gestaltung des felsigen Bodens hervorgebracht, welche von den Erbauern der Burg – nicht geebnet, sondern derart sogar benutzt worden ist, daß die Wände (F.F.) nur wenig künstliches Mauerwerk, dagegen meistens die natürliche, nackte Felsgestaltung zeigen, aus welcher mannigfach Gesträuch und wilde Blumen hervorgewachsen sind. Die Stufen von dem Palas herab sind noch in Felsen gehauen, wogegen die Stufen zum Münster künstlich gemauert sind. (Auf diesem Wege nun schreitet der Zug der Frauen mit Elsa, in der vierten Szene, auf die in der Partitur genau angegebene Weise aus der Pforte der Kemenate herab: – die Herausgetretenen verschwinden, indem sie links den rundherumgehenden Söller entlang schreiten, auf einige Augenblicke dem Auge des Zuschauers, und erscheinen ihm dann auf dem Wege erst wieder).
G. Burgmauer, mit runder Biegung von der Kemenate bis zum Palas hinab sich senkend. Mächtiges Laubwerk einer großen Linde – die außerhalb der Mauer im Burggarten steht – ragt über die Mauer herein, welche selbst von Epheu und Mauergewächs häufig bedeckt ist.
H. Brunnen: hinter ihm Burgmauer, den Palas mit dem Turm verbindend. Eine mächtige Linde, die ihre Zweige bis über den Palas erstreckt, beschattet den Brunnen. (Auf der genauen Ausführung dieser Szene nach der obigen Angabe muß bestanden werden, weil ohne dem das Plastische der Handlung unmöglich zu klarem Verständnis kommen würde.)
Szene III. – Der entferntere Turm, von welchem den Turmwächtern auf der Szene wie im Echo geant-
wortet wird, muß nach vorn – anzunehmender Weise noch über das Proszenium hinaus – zur Seite links befindlich gedacht werden. Die Täuschung ist dadurch zu ermöglichen, daß die zwei Trompeter, welche die
Antwort blasen, auf dem Schnürboden, links an der Stelle, wo die Vorrichtung zum Aufziehen des Theatervorhanges angebracht ist, aufgestellt werden: sie wenden die Mündung der Trompeten nach der Bühne zu; auch können sie sonst noch durch einen Brettverschlag so verdeckt werden, daß der Schall sehr entfernt klingt. – Das übrige ist in der Partitur ziemlich genau angegeben. –
Der Heerrufer verbleibt, so lange er in der Szene ist, oberhalb der Stufen auf der Terrasse vor
dem Palas, also um vier Fuß über dem Männerchore erhöht, zu welchem er herabspricht. Die Männer wenden sich, so oft der Ruf der Heerhörner sie zur Amerksamkeit auffordert, jedesmal der Terrasse zu, indem sie dem Publikum den Rücken kehren: so oft der Heerrufer geendet, wenden sie sich dann lebhaft wieder nach vorn, den ganzen Hofraum einnehmend.
Szene V. Mit Lohengrin und dem König treten "sächsische Grafen und Edle" – singende Personen – auf. Da zu der vorhergehenden Männerchorszene alle disponiblen Sänger bereits verwendet werden mußten, so ist folgende Täuschung auszuführen: – während der Szene zwischen Ortrud und Elsa, nachdem alle Frauen mit den Edelknaben die Bühne im Vordergrunde erfüllt haben, muß die Hälfte des Männerchores (der bis dahin nur Brabanter darstellte) unvermerkt die Szene verlassen, wogegen eine gleiche Anzahl von Statisten – in demselben Kostüme – ihre Stelle einnehmen. Die Zeit bis zu dem Wiederauftreten der Abgegangenen wird ausreichend sein für diese, um die Oberkleidung, Kopfbedeckung und sonstige Abzeichen des sächsischen Königsgefolges anzulegen.
Dritter Akt. Bühne.
Das Brautgemach.
A. Brautbett, von prachtvollen Vorhängen eingeschlossen.
B. Turm-Erkerfenster, breit, und weit nach dem Vordergrunde zugehend: rundum in ihm geht eine breite gepolsterte Sitzbank, auf welcher Lohengrin mit Elsa in der zweiten Szene sich niederläßt; durch das geöffnete Fenster blickt man dann in eine schöne Sommernacht, auf hohes Blumengesträuch hinaus.
C. Ein wirklicher – praktikabler – Vorhang, welcher am Schlusse der zweiten Szene, nach der Mitte zu,
sich schließt. Er bleibt dann solange geschlossen, bis die Szene dahinter verwandelt ist; dann wird er – wie ein Dekorationshintergrund – ganz in die Höhe, hinter das Proszenium, aufgezogen. – Tiefer praktikabler Vorhang soll – vom Proszenium aus – die Szene des Brautgemaches soweit verengen, als es zumal auch nötig ist, um bereits schon während dieser Szene (also im Zwischenakte) die Bühne für die folgende Dekoration, der Wiederholung der Szene des ersten Aktes, mit den Seitenterrainerhöhungen usw. vorbereitet halten zu können. Die Zeit zur Verwandlung darf nicht länger dauern, als in der Musik es vorgeschrieben ist. (Das gewöhnliche Abräumen und handgreifliche Dekorationsverwandeln wurde hier aber einen höchst widerlichen Eindruck machen, und es ist deshalb auf die Beschaffung des bezeichneten Vorhanges, aus praktischen wie ästhetischen Gründen, zu bestehen.)
Szene III. Die Ankunft der verschiedenen Heerhaufen ist in der Partitur genau beschrieben. Die Pferde sollen eben nur bis zur Kulisse herauskommen und dann, nachdem abgestiegen, sogleich zurückge- führt werden. Müssen die Pferde durchaus ganz fortbleiben, so möge ein Versuch gemacht werden, wie
wenigstens – bei der jedesmaligen Ankunft eines Führers – das Geräusch eines heransprengenden und haltenden Reiters hinter der Szene nachgeahmt werden kann. – Vor allem möge darauf gesehen werden, daß
dieses Zusammentreffen von Heerhaufen ja nicht auf die maschinenhaft regelmäßige Marschweise geschehe, wie es sich von der Wachtparade meistens auf die Bühne verpflanzt hat. Soviel individuelles Leben wie
möglich! – Die Trompeter brauchen nicht auf die Bühne zu kommen; nur die vier Heerhornbläser des
Königs. –
Gottfried wird von einer jungen Schauspielerin dargestellt. Er trägt eine blendend weißglänzende Schuppenrüstung. –
(Das Szenarium muß nicht nur aus dem Textbuche, sondern namentlich auch aus der Partitur, im welcher – im Zusammenhange mit der Musik – alles genau angegeben ist, zusammengestellt werden. Auf genaues Zusammentreffen der Handlungsmomente mit der Musik muß über alles streng gehalten werden.) |