Biebrich
Richard Wagner hatte 1859 den Mainzer Musikverleger Franz Schott (1811–1874) kennen
gelernt, der Interesse zeigte, Wagners Verleger zu werden. Ende des Jahres 1861 bot Wagner
ihm den Werksentwurf zu den "Meistersinger von Nürnberg" an, den er über den
Jahreswechsel in Paris im Hôtel du Quai Voltaire in Verse setzte. Um die abgeschlossene
Versdichtung seiner neuen Oper vorzustellen, traf Wagner am 4. Februar 1862 erneut in
Mainz ein. Im stattlichen Verlagshaus Schott (Weihergarten 5, 55116 Mainz) veranstaltete er
am nächsten Tag eine Lesung für Franz Schott und einen Kreis von geladenen Gästen. Das
Publikum zeigte sich begeistert und Wagner bekam von Schott Geld vorgestreckt unter der
Auflage, die Oper bis September fertig zu stellen.
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Blick von der Rettbergsaue auf die "Villa Wagner" |
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Auf der anderen Rheinseite im "reizenden" Biebrich (heute ein Stadtteil von Wiesbaden)
quartierte sich Wagner im vornehmen Hotel "Europäischer Hof" vorübergehend ein (das
Hotel in der Wilhelm-Kopp-Straße existiert heute nicht mehr). Eine Wohnung fand er
schließlich in der nahe gelegenen Villa Annica (Rheingaustraße 137, 65203 Wiesbaden), die
kurz zuvor vom Architekten Wilhelm Frickhofer fertiggestellt worden war. Die kleine dort
angemietet Wohnung wurde zu
Wagners Lebensmittelpunkt in
einer unruhigen und von
zahlreichen Reisen geprägten Zeit.
Wagner genoss den Blick von der
Villa auf das barocke herzoglichnassauische
Schloss auf der einen
und auf den Rhein auf der anderen
Seite. Um sich ganz seiner Arbeit
widmen zu können und wegen
"großer Unbeholfenheit im
Haushalte" mietete er sich ein
Dienstmädchen, das ihm das
Frühstück brachte. Die Mahlzeiten
nahm er im Europäischen Hof ein.
Wagner erwog sogar in der Nähe ein Festspielhaus zu errichten. Als möglicher Standort
wurde die Adolfshöhe zwischen Biebrich und Wiesbaden in Betracht gezogen, an dieser
Stelle wurde 1909 die Richard Wagner-Anlage als öffentlicher Park eingerichtet.
Wenig harmonisch gestaltete sich ein Besuch Minna Wagners im Februar 1862 in Biebrich.
"Ich kann unmöglich mehr mit meiner Frau zusammen leben", schrieb Wagner einem engen
Freund, es folgte die endgültige Trennung und eine persönliche Krise Wagners. "Keine
Sicherheit, keine Einnahmen, Not und Sorge: keine Heimat, keine Familie, nichts!", schrieb
er an seine Schwester Cäcilie. Trost fand er bei einer guten Freundin in Mainz, Mathilde
Maier (1833-1910), die er bei Schott kennen gelernt hatte. Wagner wollte sich aber aus
Rücksicht auf Minna nicht scheiden lassen, was eine dauerhafte Bindung verhinderte. Die
Schauspielerin Friederike Meyer aus Frankfurt wurde zeitweise seine Geliebte.
Mit dem Frühling trafen viele Besucher in Biebrich ein. Darunter das berühmte Sängerpaar
Ludwig und Malwina Schnorr von Carolsfeld, das unter Anleitung von Wagner später den
"Tristan" einstudierte. Auch Hans und Cosima von Bülow kamen zu Besuch. Bei einem gemeinsamen Ausflug nach Frankfurt kam es zu einer ersten Annäherung zwischen Wagner
und seiner späteren Frau: "Als ich jetzt in Frankfurt Cosima über einen offenen Platz nach
dem Gasthofe geleitete, fiel es mir ein, sie aufzufordern, sich in eine leer dastehende
einräderige Handkarre zu setzen, damit ich sie so in das Hotel fahren könne: augenblicklich
war sie hierzu bereit, während ich, vor Erstaunen wiederum hierüber, den Mut zur
Ausführung meines tollen Vorhabens verlor. Bülow hatte, uns nachkommend, den Vorgang
angesehen; Cosima erklärte ihm sehr unbefangen, was er zu bedeuten gehabt hätte, und
leider durfte ich nicht annehmen, daß seine Laune auf der Höhe der unsrigen stände, da er
sich seiner Frau mit Bedenken darüber äußerte." (ML). Cosima schrieb 1872 in ihrem
Tagebuch: "Der Karren ist zum Sternenwagen für mich geworden, auf welchem er mich fährt,
dahin dahin, wo die Seelenheimat ist."
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Heutige Ansicht der Villa Schott |
Neben den privaten Turbulenzen geriet die Arbeit an den "Meistersingern" ins Stocken. Im
Frühjahr hatte Wagner noch die Orchesterskizze fertiggestellt, mit der Komposition kam er
aber nicht voran. Um Schott zu beschwichtigen, studierte Wagner in Biebrich die fünf
Wesendonck-Lieder mit der Sängerin Emilie Genast und
Hans von Bülow am Klavier ein und brachte sie in der
Mainz-Laubenheimer Sommervilla der Familie Schott
zur Uraufführung (Hans-Zöller-Straße 19, 55130; 1878
umgebaut). Franz Schott stellte dennoch die Zahlungen
ein und beschied Wagner: "Überhaupt kann ein
Musikverleger Ihre Bedürfnisse nicht bestreiten, dies
kann nur ein enorm reicher Bankier oder Fürst, der über
Millionen zu verfügen hat ...".
Im November 1862 verließ Wagner Biebrich und reiste nach Wien. |