Judith Gautier (1845 – 1917)

 Judith Gautier
   
  Judith Gautier (1880)
   

Fünf Wochen nach der Geburt seines Sohnes Siegfried am 6. Juni 1869 in Tribschen, lernte Richard Wagner Judith Gautier, die Tochter des berühmten französischen Romansciers Theophile Gautier kennen. Sie war damals 23 Jahre alt und die erste Frau des Kritikers und Joumalisten Catulle Mendes.

Ihre erste Erfahrung mit Wagners Musik hatte Judith Gautier im Alter von neunzehn Jahren gemacht, als sie zufällig auf die Klavierpartitur des Fliegenden Holländers stieß. Von diesem Augenblick an wurde sie zur fanatischen Verehrerin Wagners. Bald danach widmete sie ihre journalistische Begabung unermüdlich dem Ziel, Wagners Opern in Paris zu verteidigen. In ihrem ersten Artikel über die Pariser Aufführung des Lohengrin am 8. September 1868 lobte sie Wagner als „le plus grand génie musical de notre époque.” Judith sandte eine Kopie des Artikels an Wagner nach Tribschen, um sich unter dem Vorwand, sich seiner Zustimmung zu versichern, bei ihm vorzustellen zu können.

Wagner, der von Judiths Rezension sehr begeistert war, lud sie zusammen mit ihrem Mann und dem befreundeten Dichter Villiers de l‘Isle-Adam nach Tribschen ein. Richard und Cosima empfingen die Gäste sehr herzlich, man unternahm Ausflüge, unterhielt sich angeregt, meist auf französisch, und musizierte häufig gemeinsam. Anfangs an war das Verhältnis zwischen Cosima und Judith vertraut und sehr eng. Die Missbilligung der Väter über ihre Ehen bildete eine Gemeinsamkeit, und Cosima vertraute Judith Gautier Intimitäten an.

Judith Gautiers zehntägiger Aufenthalt in Tribschen bedeutete aber auch den Anfang einer sehr nahen Freundschaft mit Richard Wagner. Neben Judiths Enthusiasmus für seine Musik fiel Wagner aber auch ihre außerordentliche Schönheit auf. Seit sie ein kleines Mädchen war, wurde Judiths hinreißendes Aussehen von vielen Dichtern und Künstlern gelobt. Baudelaire hat „das kleine griechische Mädchen” als „den Orkan” benannt, weil ihre Schönheit so viele Schiffbrüche verursachen würde. Der Dichter André Fontaines war von ihren „zärtlichen, träumerischen Augen aus Samt” beeindruckt und der Satiriker Laurent Tailhade behauptete, sie habe die Seele einer Künstlerin im Körper einer Göttin und sie sei zugleich eine Heidin und eine Frau mit dem Profil der Antike. Victor Hugo, der ihr Geliebter wurde, schrieb ihr das Sonett Ave, dea, moriturus te salutat!

Obwohl der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 Judith Gautier und Richard Wagner für mehrere Jahre trennte, hielten sie während dieser Zeit eine herzliche Korrespondenz aufrecht. Ihre nächste Begegnung fand im August 1876, zwei Jahre nach der Trennung Judiths von ihrem Mann, anlässlich der Uraufführung des Ring in Bayreuth statt. Wagner, der Judith fast sechs Jahre nicht gesehen hatte, fand sie enorm anziehend. Eifrig zeigte er ihr das Festspielhaus und während dieser Führungen begann eine Liebesaffäre, die bald sehr intensiv wurde.

     Judith Gautier
   
  Judith Gautier (1885)
   

Als Judith aus Bayreuth abreiste, arrangierte Wagner über seinen Barbier Bernard Schnappauf einen geheimen Briefwechsel. Judiths Briefe wurden jedoch von ihm eigenhändig ganz oder wenigstens zum Teil verbrannt, als Cosima die Wahrheit über das Verhältnis erfuhr. Die Wagners Briefe jedoch zeigen, dass er in sie verliebt, ja beinahe von ihr besessen war: „Teure Seele! Nicht mehr schreien und protestieren! An das Erlebnis Ihrer Umarmungen denke ich als an den berückendsten Rausch, an den höchsten Stolz meines Daseins. Es ist ein letztes Geschenk der Götter, die mich unter dem Gram des falschen Ruhms der „Nibelungem-Aufführungen wollten erliegen lassen. Aber wozu von elendem Zeug reden! Ich schreie nicht, aber in meinen besten Momenten bewahre ich mir eine so süße, wohltuende Sehnsucht, jene Sehnsucht, Sie noch zu umarmen und Ihre göttliche Liebe nie zu verlieren. Sie sind mein, nicht wahr?” (18. November 1877)

Als Wagner die Arbeit am Parsifal begann, führte er die Korrespondenz mit Judith fort, doch tauchte nun eine andere Sehnsucht Wagners auf. Gautier wurde zur Adressatin von Wagners Wünschen nach exotischen Parfüms und aufwendigen Stoffen: „Unternehmen Sie nichts wegen des Satins. Ich verzichte darauf. Ich bin vernarrt in eine gewisse Farbe, die man nicht mehr findet: was man einem anbietet, ist Chamois oder Fleischfarbe. (Ach, wär es die Farbe Ihres Fleisches, dann hätt’ ich gleich das Rosa, das ich will!) Aber wenn Ihnen das Spaß macht, so trachten Sie noch einen (oder selbst zwei) solcher Stoffe (gut!) a la Pompadour aufzutreiben‚ gestreift, wie ich sie Ihnen geschildert habe, immer je 6 Meter.” (Dezember 1877).

Judith verhielt sich zurückhaltend; sie hatte nicht den Wunsch, Wagner zu dieser Affäre weiter zu ermutigen, und Wagners zudringliche Leidenschaft peinigte sie. Im Februar 1878 endete die Liebeskorrespondenz. Entweder gestand Wagner Cosima diesen Briefverkehr oder Cosima entdeckte ihn selbst. Cosima schrieb am 12. Februar 1878 insTagebuch: „Das Leid, vor welchem mir bangte, blieb nicht aus; von außen brach es herein! Gott helfe mir!... Schmerz, du mein alter Geselle, kehre nun wieder ein und wohne bei mir; wir kennen uns beide, wie lange willst du jetzt bei mir ausharren, treuester‚ einzig sicherer Freund? Läutre mich nun, mach mich deiner wert, ich fliehe dich nicht, Wann aber bringst du den Bruder?”

Richard Wagner, der nichts weniger im Sinn hatte, als seine Ehe mit Cosima ernstlich zu gefährden, beendete daraufhin die Beziehung zu Judith. Im Juli 1882, anlässlich der Uraufführung des Parsifal in Bayreuth, besuchte Judith Gautier Wagner zum letzten Mal.