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Biografie
  1813 – 1832  Jugend
  1833 – 1842  Theaterpraxis
  1842 – 1849  Dresden
  1849 – 1858  Exil in Zürich
  1858 – 1864  Wanderjahre
  1864 – 1865  München
  1866 – 1870  Exil in Tribschen
  1871 – 1876  Bayreuth
  1877 – 1883  Tod in Venedig

Frauen
  Jugend
  Minna Planer
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  Mathilde Wesendonck
  Liebschaften
  Cosima
  Judith Gautier
  Carrie Pringle

Freunde
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  Hans von Bülow
  Ludwig II.
  Friedrich Nietzsche
  Theodor Apel
  Heinrich Laube
  August Röckel
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  Samuel Lehrs
  Heinrich Heine
  Gottfried Semper
  Wilhelmine Schröder-Devrient
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Familie
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Die jüdische Frage
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  Samuel Lehrs
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Lebensorte
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WAGNERS BIOGRAFIE    SYNCHRONIK    THEATERSTÜCK    AUSSTELLUNG 

Friedrich Nietzsche

Altphilologe, Philosoph
* 15. Oktober 1844, Röcken / † 25. August 1900, Weimar

 Friedrich Nietzsche
   
  Friedrich Nietzsche
   

Friedrich Nietzsche wurde als Sohn eines protestantischen Pfarrers geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters lebte er seit 1849 zusammen mit seiner Mutter und der jüngeren Schwester Elisabeth unter beengten Verhältnissen im Haushalt der Großmutter in Naumburg. Nietzsche erhielt privaten Klavierunterricht und begann autodidaktisch, mit Hilfe eines veralteten Kontrapunkt-Lehrbuchs von Beethovens Lehrer Albrechtsberger, zu Komponieren. Sein Interesse galt zunächst der älteren klassischen Musik; in einem "Lebensrückblick", den er im August 1858 noch vor seinem 14. Geburtstag, verfasste, hieß es:

"Ich empfing (. . .) einen unauslöslichen Hass gegen alle moderne Musik und alles, was nicht klassisch war. Mozart und Haydn, Schubert und Mendelssohn, Beethoven und Bach, das sind die Säulen, auf die sich nur deutsche Musik und ich gründet".

Die musikalischen Vorlieben Nietzsches wurden zu dieser Zeit stark von seinem Schulfreund Gustav Krug beeinflusst, der ihn 1862 mit dem von Hans von Bülow erstellten Klavierauszug von "Tristan und Isolde" bekannt machte. Zu Weihnachten ließ er sich von seiner Mutter einen Klavierauszug der Oper schenken. In seiner 1888 begonnenen autobiographischen Schrift "Ecce homo" schilderte Nietzsche in der Rückschau diese erste Beschäftigung mit der Musik Wagners:

"Alles erwogen, hätte ich meine Jugend nicht ausgehalten ohne Wagnerische Musik. Denn ich war verurtheilt zu Deutschen. Wenn man von einem unerträglichen Druck loskommen will, so hat man Haschisch nöthig. Wohlan, ich hatte Wagner nöthig. Wagner ist das Gegengift gegen alles Deutsche par exellence, - gift, ich bestreite es nicht . . . Von dem Augenblick an, wo es einen Klavierauszug des Tristan gab - mein Compliment, Herr von Bülow! - , war ich Wagnerianer. Die älteren Werke Wagner´s sah ich unter mir - noch zu gemein, zu ´deutsch´. . . Aber ich suche heute noch nach einem Werke von gleicher gefährlicher Fascination, von einer gleich schauerlichen und süssen Unendlichkeiten, wie der Tristan ist,  - ich suche in allen Künsten vergebens. Alle Fremdheiten Lionardo da Vinci´s entzaubern sich beim ersten Tone des Tristan. Dies Werk ist durchaus das non plus ultra Wagner´s; er erholte sich von ihm mit den Meistersingern und dem Ring. Gesünder werden - das ist ein Rückschritt bei einer Natur wie Wagner . . . Ich nehme es als Glück ersten Rangs, zur rechten Zeit gelebt und gerade unter Deutschen gelebt zu haben, um reif für dies Werk zu sein: so weit geht bei mir die Neugierde des Psychologen. Die Welt ist arm für den, der niemals krank genug für diese ´Wollust der Hölle´ gewesen ist: es ist erlaubt, es ist fast geboten, hier eine Mystiker-Formel anzuwenden. - Ich denke, ich kenne besser als irgend jemand das Ungeheure, das Wagner vermag, die fünfzig Welten fremder Entzückung, zu denen Niemand ausser ihm die Flügel hatte; und so wie ich bin, stark genug, um mir auch das Fragwürdigste und Gefährlichste noch um Vortheil zu wenden und damit stärker zu werden, nenne ich Wagner den grossen Wohlthäter meines Lebens. Das, worin wir verwandt sind, dass wir tiefer gelitten haben, auch an einander, als Menschen dieses Jahrhunderts zu leider vermöchten, wird unsre Namen ewig wieder zusammenbringen; und so gewiss Wagner unter Deutschen bloss ein Missverständnis ist, so gewiss bin ich´s und werde es immer sein. - Zwei Jahrhunderte psychologische und artistische Diciplin zuerst, meine Herrn Germanen! . . . Aber das holt man nicht nach".

Zu diesem Zeitpunkt hatte Nietzsche nicht die Möglichkeit, die Musik Wagners im Konzertsaal oder Opernhaus zu hören, sondern er war auf Klavierauszüge angewiesen. Erst als er nach einem Studienjahr in Bonn 1865 an die Universität Leipzig wechselte, wurde Nietzsche zum regelmäßigen Konzertgänger. Die Musik des "Tristan" bliebt noch immer der Maßstab, an dem er sich orientierte. Als er die "Walküre" anhand des Klavierauszugs erstmals studierte, war Nietzsche enttäuscht. An seinen Freund Carl von Gersdorf schreibt er:

"Dagegen hat mich der Klavierauszug der Walküre von Rich. Wagner begleitet, über die meine Empfindungen sehr gemischt sind, so daß ich kein Urtheil auszusprechen wage. Die großen Schönheiten und virtutes (Tugenden) werden durch eben so große Häßlichkeiten und Mängel aufgewogen".

Während seiner Studienzeit in Leipzig befasste sich Nietzsche immer intensiver mit Wagner; die Lektüre der Schriften, insbesondere von "Oper und Drama" übte einen nachhaltigen Eindruck auf ihn aus. Zu der ersten persönlichen Begegnung mit Wagner kam es in Leipzig am 8. November 1868 im Haus des Verlegers Hermann Brockhaus, Wagners Schwager. An seinen Studienfreund Erwin Rohde schrieb Nietzsche:

"Wir kommen in dem sehr behaglichen Salon Brockhaus an: es ist niemand weiter vorhanden als die engste Familie, Richard und wir beide. Ich werde Richard vorgestellt und rede zum ihm einige Worte der Verehrung: er erkundigt sich sehr genau, wie ich mit seiner Musik vertraut geworden sei, schimpft entsetzlich auf alle Aufführungen seiner Opern, mit Ausnahme der berühmten Münchener und macht sich über die Kapellmeister lustig, welche ihrem Orchester im gemüthlichen Tone zurufen: ´meine Herren, jetzt wird´s leidenschaftlich´, ´Meine Gutsten, noch ein bischen leidenschaftlicher!´ Wagner imitirt sehr gern den Leipziger Dialekt".

Vor und nach dem Abendessen spielte Wagner Teile aus den "Meistersingern von Nürnberg" am Klavier und las aus seiner Autobiographie "Mein Leben" vor, an der er gerade arbeitete. Mit Nietzsche unterhielt sich Wagner über Schopenhauer, den beide verehrten. Wagner war offensichtlich beeindruckt von den umfangreichen musikalischen Fachkenntnissen Nietzsches und er forderte ihn auf, seine Schwester (Frau Brockhaus) und ihre Familie mit seiner Musik bekannt zu machen. Wenig später, Anfang 1869, wurde Nietzsche völlig überraschend, noch bevor er seine Promotion abgeschlossen hatte, als Professor für klassische Philologie nach Basel berufen. Er lebte jetzt in der Nähe Wagners und war seitdem regelmäßiger Gast in Tribschen, wo er am 17. Mai 1869 erstmals eintraf. Cosima hielt in ihrem Tagebuch fest: "Zu Tisch ein Philologe Professor Nietzsche, welcher Richard bei Brockhausens hat kennen gelernt und welcher Richards Werke gründlich kennt und selbst aus ´Oper und Drama´ in seinen Vorlesungen zitiert". Anfangs war Nietzsche durch die außereheliche Beziehung von Wagner und Cosima, die noch mit Hans von Bülow verheiratet war und zugleich hochschwanger von Wagner ein Kind erwartete, stark irritiert, weshalb er die Einladung, an Wagners Geburtstagsfeier am 22. Mai 1869 teilzunehmen, ablehnte. Nietzsche entschuldigte sich bei Wagner in einem längeren Brief, ohne die wahren Gründe seiner Absage zu erwähnen. Darin bekannte er sich jedoch zu Wagners Schaffen ist allen Aspekten und übernahm auch den Antisemitismus, der durch die Neuveröffentlichung von Wagners "Judenthum in der Musik", die nur wenige Wochen zurücklag, erneut aktuell war:

"Nun habe ich es gewagt, mich unter die Zahl dieser pauci (wenigen) zu rechnen, nachdem ich wahrnahm, wie unfähig fast alle Welt, mit der man verkehrt, sich zeigt, wenn es gilt, Ihre Persönlichkeit als Ganzheit zu erfassen, den einheitlichen, tiefethischen Strom zu fühlen, der durch Leben, Schrift und Musik geht, kurz, die Athmosphäre einer ersteren und seelenvolleren Weltanschauung zu spüren, wie sie uns armen Deutschen durch alle möglichen politischen Miseren, durch philosophischen Unfug und vordringliches Judenthum über Nacht abhandengekommen war. Ihnen und Schopenhauer danke ich es, wenn ich bis jetzt festgehalten habe an dem germanischen Lebensernst, an einer vertieften Betrachtung dieses so räthselvollen und bedenklichen Daseins".

Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872)
   

Die Geburt der Tragödie
aus dem Geiste der Musik (1872)


 

Im Juni fuhr Nietzsche zum zweiten Mal nach Tibschen, wo ihm ein eigenes Zimmer, die "Denkstube", überlassen wurde. Einen Tag nach seiner Ankunft, am 6. Juni 1869 wurde Wagners und Cosimas drittes gemeinsames Kind Siegfried geboren. Nietzsche wurde jetzt zunehmend in das Familienleben Wagners integriert. Er wurde von Cosima zu Weihnachten - ihrem Geburtstag -  und anderen familiären Anlässen eingeladen, seine Besuche wurden jetzt häufiger und länger; insgesamt kam Nietzsche 23 Mal nach Tribschen. Weihnachten 1870 war er einer der wenigen Eingeweihten, die von Wagners Komposition des "Siegfried-Idylls" wussten, und er durfte dabei sein, als das Cosima zugeeignete Werk im Treppenhaus von Tibschen von einem Kammerorchester uraufgeführt wurde. 1871 erschien Nietzsches Schrift "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik". Die Widmung dieser ersten Buchveröffentlichung an Wagner löste in Tribschen Genugtuung aus. Nietzsche verknüpfte seine philologische Untersuchung der Anfänge der griechischen Tragödie mit ästhetischer Zeitkritik. An mehreren Stellen hat Nietzsche Anspielungen auf Wagners "Ring des Nibelungen" und die Bühnenfigur des Siegfried einfließen lassen. So sprach Nietzsche vom "deutschen Geist", der aus dem Schlaf erwachen wird: "dann wird er Drachen tödten, die tückischen Zwerge vernichten und Brünnhilde erwecken". Eng an Wagners Bilderwelt angelehnt ist auch die Formulierung von der "langen Entwürdigung, unter der der deutsche Genius, entfremdet von Haus und Heimat, im Dienste tückischer Zwerge lebte". Hier hat Nietzsche in kaum verhüllter Form eine antisemitische Lesart des "Ring des Nibelungen" verbreitet: Siegfried, der deutsche Genius, wird von den Alberich und Mime, den Juden, unterdrückt; schließlich wird Siegfried den Juden Mime töten. Innerhalb seines akademischen Fachs stoßen Nietzsches Thesen auf scharfe Ablehnung. Der bekannteste Philologe dieser Zeit, Wilamowitz-Moellendorff, verspottete Nietzsche in seinem Pamphlet "Zukunftsphilologie!", was Wagner zu einer öffentlichen Entgegnung zugunsten Nietzsches veranlasst.

Nach dem Umzug von Cosima und Richard Wagner von Tibschen nach Bayreuth im April 1872 versuchte Nietzsche mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, den Bau des Festspielhauses zu unterstützen. Als die Finanzierung des Projektes ins Stocken geriet und das gesamte Bayreuther Vorhaben zu Scheitern drohte, verfasste Nietzsche einen "Mahnruf an die Deutschen", mit der Absicht, breitere Kreise für die Unterstützung der Festspiele zu gewinnen. Nietzsches präsentierte seinen Text auf einer Versammlung der Wagner-Vereine in Mannheim, Das Vorhaben stieß jedoch auf die deutlich Ablehnung der Delegierten, da Nietzsches Reputation durch der Veröffentlichung von "Geburt der Tragödie" stark gelitten hatte.

Mahnruf

Auch die Beziehung Nietzsches zu Wagner kühlte nun merklich ab. Im Juni 1874 besuchte Nietzsche eine Aufführung des "Triumphlied" von Johannes Brahms im Basler Münster unter der Leitung von Brahms selbst; anschließend fuhr Nietzsche noch zur folgenden Aufführung nach Zürich und beschaffte sich den Klavierauszug des Werkes. Als Nietzsche in den folgenden Sommerferien nach Bayreuth fuhr, hatte der diesen Klavierauszug dabei, was einen heftigen Wutanfall Wagners auslöste. In einer private Notiz hielt Nietzsche jetzt fest:

"Der Tyrann lässt keine andere Individualität gelten als die seinige und die seiner Vertrauten. die Gefahr für Wagner ist gross, wenn er Brahms usw. nicht gelten lässt: oder die Juden".

Cosima bemerkte die zunehmende Entfremden zwischen Nietzsche und Wagner; ihr gelang es noch einmal, die alte Freundschaft wiederherzustellen. Sie wurde jetzt die Fürsprecherin Nietzsches in der Villa Wahnfried und verhinderte den sofortigen Bruch, der sich bereits zu diesem Zeitpunkt abzeichnete. Unmittelbar vor den ersten Bayreuther Festspielen 1876 veröffentlichte Nietzsche seine vierte Unzeitgemässe Betrachtung "Richard Wagner in Bayreuth"; eine scheinbar grenzenlose Lobpreisung des Meistes und seines Bayreuther Unternehmens. Nietzsche war hiermit zum letzten Mal für Wagner öffentlich eingetreten. In seinem Telegramm bedanke sich Cosima umgehend für diese Unterstützung. Auch Wagner schrieb an Nietzsche und lud ihn aus Dank zu den Proben der Festspiele ein:

"Freund! Ihr Buch ist ungeheuer! - Wo haben Sie nur die Erfahrung von mir her? - Kommen Sie nun bald und gewöhnen Sie sich durch die Proben an die Eindrücke".

Nietzsches private Aufzeichnungen belegen dagegen, wie sehr er sich tatsächlich schrittweise von Wagner gelöst hatte. Bereits im Frühjahr 1874 hatte Nietzsche über den "Ring des Nibelungen" notiert:

"Die Musik ist nicht viel wert, die Poesie auch (nicht), das Drama auch nicht, die Schauspielkunst ist oft nur Rhetorik - aber alles ist im Grossen Eins und auf der Höhe".

1876 reist Nietzsche gesundheitlich stark angeschlagen zu den Proben für den "Ring des Nibelungen" nach Bayreuth. Er litt unter starken Kopfschmerzen und wegen seiner fortschreitenden Sehschwäche konnte er nur mit Mühe der Bühnenhandlung folgen. Die "Walküre" hörte er nur im Dunkeln sitzend, an seine Schwester Elisabeth schrieb er: "alles Sehen unmöglich!". Nietzsche besuchte auch die Uraufführung des "Ring", doch er war von dem Publikum enttäuscht; seine Erwartung, die Bayreuther Festspiele könnten zu einem Ort der nationalen Erneuerung werden, hatte sich nicht erfüllt. In seiner 1888, kurz vor seinem endgültigen geistigen Zusammenbruch niedergeschriebenen Polemik "Nietzsche contra Wagner", hat er seine Distanzierung von Wagner und seinem Werk auf diesen Besuch der ersten Festspiele datiert:

 "Wie ich von Wagner loskam: Schon im Sommer 1876, mitten in der Zeit der ersten Zeit der ersten Festspiele, nahm ich bei mir von Wagnern Abschied. Ich vertrage nichts Zweideutiges; seitdem Wagner in Deutschland war, condescendirte er Schritt für Schritt zu Allem, was sich verachte - selbst zum Antisemitismus . . . Es war in der That damals die höchste Zeit, Abschied zu nehmen".

Nietzsche ließ sich nach dem Ende der Festspiele von seiner Universität für ein Jahr beurlauben und reiste im Oktober 1876 in Begleitung seines Schülers Paul Rée, einem konvertierten Juden, zu seiner mütterlichen Freundin Malwida von Meysenbug nach Sorrento am Golf von Neapel, wo er den Winter verbrachte. Wenig später traf auch Wagner mit seiner Familie in Sorrento ein; für ernsthafte Verstimmung sorgte ein antisemitischer Ausfall Cosimas wegen der Anwesenheit Rées. Ein Spaziergang am Abend vor der Abreise Wagners war ihre letzte persönliche Begegnung. Nach der Schilderung von Nietzsches Schwester Elisabeth, berichtete Wagner bei dieser Gelegenheit erstmals von seinem "Parsifal"; die christliche Tendenz habe zur Abkehr Nietzsches von Wagner geführt. Die Details dieser Unterredung sind jedoch nicht bekannt, doch hat Nietzsche den Kontakt zu Wagner wie auch zu Cosima zu diesem Zeitpunkt beendet. Wagner schickte Nietzsche fast ein Jahr später das Textbuch des "Parsifal". Nietzsche bedankte sich nicht, aber schrieb an seinen Freund Seydlitz am 4. Januar 1878:

"Gestern kam, von Wagner gesandt, der Parsifal in mein Haus. Eindruck des ersten Lesens: mehr Liszt, als Wagner, Geist der Gegenreformation; mir, der ich zu sehr an das Griechische, menschlich Allgemeine gewöhnt bin, ist alles zu christlich zeitlich beschränkt; lauter phantastische Psychologie; kein Fleisch und viel zu viel Blut".

Jetzt glaubte Wagner, dass der Einfluss von Paul Rée die Ursache für das Zerwürfnis sei. Nietzsche galt ihm als Abtrünniger, der Name Nietzsche durfte fortan in seiner Gegenwart nicht mehr erwähnt werden. Für die Uraufführung des "Parsifal" während der zweiten Bayreuther Festspiele 1882 erhielt Nietzsche noch eine Eintrittskarte, da er zu den ersten Patronen der Festspiele gehörte. Er überließ die Karte jedoch seiner Schwester. Bei einem Besuch in der Villa Wahnfried gemeinsam mit Malwida von Meysenbug versuchte Elisabeth Nietzsche, eine Versöhnung in die Wege zu leiten. Wagner verließ jedoch sofort wortlos den Raum. Als Nietzsche 1886 die noch unverkauften Exemplare der "Geburt der Tragödie", die er Wagner 1871 gewidmet hatte, mit einer neuen Einleitung, dem "Versuch einer Selbstkritik", veröffentlichen konnte, distanzierte er sich vorsichtig von seinen antisemitischen Anspielungen, die ihm nun offenbar peinlich waren. Zwei Jahre später, im Sommer 1888 in Turin, unmittelbar vor der Einweisung in die Psychiatrie, verfasste Nietzsche seine schärfste Wagner-Kritik. In "Der Fall Wagner. Ein Musikanten-Problem", der letzte Schrift, die Nietzsche noch veröffentlichen konnte, beschrieb er Wagner als Künstler der Dekadenz. Im Vorwort benannte er den Einfluss, den Wagner auf ihn ausgeübt hatte, mit einem Satz: "Wagner gehört bloss zu meinen Krankheiten".