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Cosima

 
 
 
 

Hans von Bülow als Pianist

Da hier sein ganzes Ich mit den Werken sich verschmilzt und diese dadurch unendlich viel eindringlicher machet … das gewaltige Feuer, durch welches er an gewissen Stellen neue Kompositionen für das Pianoforte zu einem ganzen volltönenden Orchester umwandelt. (9.1.1857, Neue Zeitschrift für Musik)
Das Publikum wird ernstlich ersucht, zehn Minuten zu Beginn Platz genommen zu haben. Vor dem letzten Stück wird eine Pause von 5 Minuten angekündigt, um diejenigen in den Stand setzen sich zu entfernen, die nicht bis zum Schluss bleiben können. (Anweisung, die Bülow auf einer Englandtournee ins Programm drucken lässt, Mitte November 1874)

„Das große Talent, welches wir Skandinavier für Essen und Trinken besitzen, werden Sie am blütenreichsten in Schweden ausgebildet finden“, hatte mir Niels W. Gade am Tage meiner Abreise gesagt und ferner hinzugefügt: „Grüßen Sie alle die schönen Schwedinnen persönlich von mir“ – „Alle?“ – „Ja alle.“ – „Wohl, das ist leichter, als nur einige.“ ... Die erste Behauptung des dänischen Tonmeisters habe ich in den ersten 24 Stunden nach meiner Ankunft in der unbedingt schönsten Stadt beider Welten, die ich gesehen – in Konstantinopel habe ich noch nicht Klavier gespielt – nicht bloß reichlichst bestätigt gefunden, sondern habe auch bei mir selber ein bisher ungeahntes Talent zur Akklimatisierung entdeckt. ... Vor dem Genusse des beliebten „schwedischen Punsches“ – sei es auch in noch so bescheidener Quantität – warne ich jedoch alle diejenigen Kollegen, welchen daran liegt, bei öffentlichem Auftreten am anderen Tage nicht zu den Katzenmusikanten gerechnet zu werden. ... In dem Hause der Frau Golla Hammerich habe ich den bisher angenehmsten Sonntag meiner Reise verlebt. Ihr Gemahl, Herr Angul Hammerich, der geistvolle und kenntnisreiche Kopenhagener Musikkritiker, war mir schon von früher her bekannt als Bruder desjenigen meiner Klavierschüler, mit welchen ich am lautesten prahlen darf Ich habe ihm nämlich dasjenige Instrument, welches nach Joachim Raffs Ausspruche „als das Kamel zu betrachten ist, das die Sünden der musikalischen Welt durch die Wüste trägt“, so gründlich verlehrt, dass er hierdurch seinem so vorzüglich erfüllten Berufe als Dirigent und Komponist mittelbar näher gerückt worden ist. ... Ich habe mit seiner talentvollen Schwägerin (Frau Golla Hammerich) das ihr noch wildfremde dritte und vierte Heft von Brahms’ Ungarischen Tänzen gespielt (welche die ersten beiden Hefte an poetischem Reize vielleicht noch übertreffen) und mich dann, in Gegenwart des Komponisten, mit einem sehr liebenswürdigen Werke gleicher Gattung bekannt gemacht, mit Franz Nerudas „Slowakischen Tänzen“, für Klavier zu vier Händen gesetzt. (27.4.1882, Signale für die musikalische Welt)

Alle fünf Sonaten [= Beethoven-Sonaten 101, 106, 109, 110, 111] auf einen Sitz zu spielen und zu hören, hätte man bis gestern für Unmöglichkeit gehalten. Herr von Bülow hat dies Abenteuer heldenmäßig bestanden. ... Meine Aufnahmefähigkeit, die ich durchaus nicht als Maßstab aufstellen will, reicht nicht so weit. Viel lieber hätte ich fünfmal an fünf Abenden den Weg zum Konzertsaale gemacht, um jede Sonate einzeln zu hören. ... So senkten denn die Hörer und vollends die Hörerinnen wie verwelkende Blumen die schweren Köpfchen und erhoben sie erst wieder, um Herrn von Bülow mit endlosem Beifall auszuzeichnen. Er hat ihn redlich verdient und mehr noch. (1879 [?] Eduard Hanslick über ein Wiener Konzert)

Am schlechtesten war die Interpretation von Schumanns Faschingsschwank, für den es Bülow an Farbe, Sensibilität und echte Sympathie mangelt. Hier ließ ihn sein Gedächtnis öfters als bei anderen Stücken des Programms im Stich. (9.4.1890, The Musical Courier, New York) [H109]

Aus unerfindlichen Gründen zieht er es vor, alleine die enorme Bürde auf sich zu nehmen, die Aufmerksamkeit eines Auditoriums für mehr als zwei Stunden zu fesseln und in zusätzlicher Extravaganz sich dem Publikum lediglich als Beethovenspieler zu präsentieren. Diese Zumutung ist unverzeihlich. (15.4.1890, Chicago Herald)

Beethoven-Massaker: Bülows technisches Geschick ist in der Tat ganz erstaunlich und seine unfehlbare Sicherheit, auf den ersten Griff sein Opfer zu verwunden oder zu töten. (6.2.1887, Hugo Wolf im Wiener Salonblatt)

Bülow gehört zu den Feldherrn, die sich in das Erbe Alexander-Liszts geteilt haben – ein Alexander ist keiner unter ihnen – aber sie haben sich doch ganz anständige Königreiche zu eigen gemacht. ... Nach den authentischen Quellen kann gesagt werden, dass die Athenienserinnen Alexander dem Großen weniger Enthusiasmus bezeugten, als z.B. die Berlinerinnen Liszt zu Theil werden ließen. ... Herr von Bülow weiß in jedem Augenblick, was er will, und der Zuhörer wird sich fortwährend darüber klar, was er kann. Es sind Leistungen des Talentes, nicht des Genies. ... Aus der ganzen Natur des Bülow’schen Talentes geht hervor, dass seine Vortragsweise Beethovenscher Musik mehr wohlüberlegt, reiflich bedacht, als warm oder gar von spontaner Begeisterung zeugend ist. Da sich aber nun Herr v. Bülow mit so außerordentlicher Gewissenhaftigkeit dem Studium des großen Meisters gewidmet hat, so ist man oft verwundert, wie wenig, neben trefflichen Einzelheiten, der Gesamtcharakter eines Stückes unter seinen Fingern mit Klarheit in die Erscheinung tritt. Herr v. Bülow scheint es schwer, den Eigenheiten seiner Technik lange zu entsagen. Er liebt das „Donnergepolter“ oder das ätherische Una-Corda-Gesäusel. Aber unsere großen und in kräftigster Gesundheit strahlenden Meister bewegen sich nur ausnahmsweise in Extremen. ... Auch in Beziehung auf die Freiheiten einesteils und auf das fast pedantische Festhalten des Tempos andernteils, wie es sich bei Herrn v. Bülows Vortragsweise zeigt, ist wohl manches einzuwenden. ... Bei seinen [= Liszts] Nachfolgern klingt es fast, als wollten sie Reklame für die Instrumente machen, deren sie sich bedienen und dem Publikum zurufen: „Seht, was so ein Flügel alles aushalten kann!“ Der Bechstein’sche Flügel, den Herr von Bülow gestern spielte, bewährte sich denn wirklich auf das erstaunlichste – ein wahrer gehörnter Siegfried unter den Klavieren, dessen kleine unbeschützte Stelle zu verwunden nicht einmal dem grimmigen Hagen von Tronje unter den Pianisten gelang, (4.3.1872, Ferdinand Hiller in der Kölner Zeitung)

Bülow hat London wieder verlassen, ist durch England wie ein Komet gefahren und hat eine wahre Revolution in den sonst stagnanten Programmen hervorgebracht. Brahms’ geistvolle Werke, Raff, Rheinberger etc. sind den Engländern ‚Household words’ geworden. … Bülow hat Liszts Werken hier einen Eingang verschafft, wie nie ein Anderer, und Liszt kann keinen besseren und enthusiastischeren Stellvertreter finden als Bülow. (13.3.1874, Neue Zeitschrift für Musik)

Bülows Ausführung vermehrte ein weiteres Mal die wachsende Liste der Triumphe und bestätigte erneut eine traumwandlerische Sicherheit in der gültigen Interpretation der Werke jeder Autoren und aller Schulen (26.10.1875, Boston Daily Advertiser) [H97]

Dass die längsten Eisenbahnfahrten bei weitem nicht die ermüdensten sind, das habe ich soeben am Gegenteil erfahren. Nachts um 1 Uhr musste ich Birmingham verlassen, von 2 – 3 ¼ auf Station Roughby verharren und erst gegen 6 Uhr kam ich bei einem so exquisit schlechten Wetter, dass man deren zwei daraus hätte machen können sagt der Berliner – tempaccio scelleratissimo sagt der Florentiner – in meiner Wohnung an. Meine gute Laune und Nervenfrische stellten sich durch kaltes Wasser und heißen Tee allmählich wieder her und ich hatte allen Grund, mit dem Verlaufe meines Recital nicht unzufrieden zu sein. ... Sehr günstige Aufnahme fand Rheinbergers kontrapunktisch wie klaviertechnisch so interessante Toccata in g-moll op. 12, ein Scarlatti redivivus so zu sagen, und in noch höherem Grade die Variationenfolge von Tschaikowsky op. 19 Nr. 6. Dieser mit jedem neuen Werke an Bedeutung wachsende junge Meister ist ein echter Tonpoet. ... Ich habe die Freude, auf einen anderen genialen Neuling hinweisen zu können, der sich zu Tschaikowsky etwa verhält, wie dieser zu Glinka, dem Vater der russischen Musik. Das ist Herr Rimsky-Korsakoff in Petersburg, dessen Programm-Symphonie „Antar“, ein prächtiges Tongemälde, uns einen ferneren Tonpoeten ankündigt. (27.11.1878, Signale für die musikalische Welt)

Den freien Abend hätte ich gerne zum Besuche eines Theaters benutzt, aber die einzige Oper, welche mich vom derzeitigen Repertoire interessiert haben würde, Bizets reizende „Carmen“ mit Mme. Trebelli, war vertagt worden, und da zog ich’s, durch gleichgestimmte Freunde verführt, vor, mich nach Heugler's Circus zu begeben. ... Auch kann ich mich einer respektvollen Bewunderung des Mutes von Akrobaten, Kunstreitern, Gymnastikern nicht erwehren. Ich denke mir immer, wenn so ein übermütiger Heldentenor, so eine üppige Primadonna bei jedem „Patzer“ ihre Extremitäten, ja ihre ganze Haut aufs Spiel zu setzen hätte, welches entsetzliche Ragout von defekten Gliedmaßen nach dem Fallen des Vorhanges auf der Bühne abzuräumen sein würde! Und dann die englischen Clowns! Die stehen bei Weitem nicht so tief, als unsere deutschen „denkenden Komödianten“ sich einbilden. Da wird noch extemporiert in Prosa und Versen, wie in der guten alten Zeit, mit ebensoviel Witz als Behagen und gestikuliert in wahrhaft bewundernswerter, stets scharf charakteristischer – Polyrhythmik – wie Freund Pohl sagen würde. Im Clowntum gipfelt die eigentliche englische Schauspielkunst. Der Clown wurde vom großen William bereits vorgefunden und literarisch entwickelt. Der Shakespearesche Humor ist mir erst durch das Gebaren der Clowns im Circus und der Christmas-Pantomime klar und gegenständlich gemacht worden (27.11.1878, Signale für die musikalische Welt)

Der gestrige Abend im königlichen Opernhause wird mir denkwürdig bleiben wegen des vollkommen geglückten Versuches, die Meininger Prinzipien auf außerdeutschem Boden einzupflanzen. Es gab ein Beethovenkonzert in verwegenster – Monotonie. Die Hofkapelle exekutierte mit großer Korrektheit und Wärme die Ouvertüren zu „Fidelio“ und zu „Coriolan“; Schreiber dieses spielte das vierte und fünfte Klavierkonzert und muss bekennen, dass ihm das letztere durch Herrn Kapellmeister Dente so vortrefflich begleitet worden ist, wie er es sich von den unzähligen Vorträgen desselben nur ein einziges Mal noch entsinnen kann: im Jahre 1864 von der Dresdner Hofkapelle unter Generalmusikdirektor Julius Rietz’ Leitung. Eine heftige innere Bewegung hatte ich zu bemeistern, als mir der die Honneurs machende Intendant die „interessante“ Notiz mitteilte, dass mein „Bechstein“ genau auf dem Platze postiert sei, wo vor 90 Jahren den kunstfreundlichen Monarchen Gustav III. während des später von Auber und Verdi in Musik gesetzten Maskenballes die tödliche Kugel eines rebellischen Junkers getroffen habe. (30.4.1882, Signale für die musikalische Welt)

Der Pianist vergaß einen Abschnitt des letzten Satzes [von Beethovens Mondschein-Sonate] und für viele Takte musste er eine eigene Improvisation einschieben, bis er wieder den Anschluss fand. Aber es war so wunderbar gemacht, dass man über die Geschicklichkeit, womit der Irrtum kaschiert wurde, den Lapsus verzeihen konnte. (24.4.1889, The Musical Courier, New York)

Die beachtenswerten Veranstaltungen kulminierten in der wunderbaren Aufführung von Beethovens Hammerklavier-Sonate op. 106. Niemals zuvor gab es hier einen Künstler, der ein so unterschiedliches und umfangreiches Repertoire zur Verfügung hatte. Wir kennen keinen Anderen, der derart versiert ist in allen musikalischen Schulen, von der frühen Klaviermusik bis heute. Einige geben seinem geradezu göttlichen Chopin-Spiel den Vorzug, andere sprechen von seinen unfehlbaren Liszt-Wiedergaben. Aber gleichgültig, ob man seine Behandlung von Bachs Werken oder die Durchleuchtung der späten Beethoven-Sonaten diskutiert, … ist es keine Übertreibung zu sagen, dass sein Spiel insgesamt, das anderer Pianisten, die man nennen könnte, weit übertrifft. (1875, Musical Review)

Die heutige Probe von Bronsarts Konzert war ganz dazu angetan, meine gute Laune zu erhöhen. Der Bechsteinsche Flügel war zwar en retard, aber ich hatte Herrn Charles Halles Rath, mich einstweilen mit einem alten Pianino zu begnügen, ganz und gar nicht zu bereuen. Sein Orchester, seit 3-4 Jahren, dass ich es zuletzt gehört, noch bedeutend vervollkommnet, begleitete so wunderschön, so sicher, so diskret, so feinfühlig, dass mein Zwerginstrument von den 160 Armen des Riesenkörpers niemals unterdrückt wurde. Allerdings ist mir selten das Glück zu Teil geworden, unter einer so meisterhaften Direktion zu spielen. Herr Halle dirigiert, wie Madame Neruda geigt. Denken Sie sich: 28 Geigen, 10 Bratschen, 10 Violoncelli, 10 Bässe aller Nationen, Engländer, Deutsche, Franzosen, Holländer, Belgier, Italiener in einer Einmütigkeit musizierend, die das I deal der Friedenscongresse auf musikalischem Gebiete bereits verwirklicht! Ich stehe nicht an, mich dem Vorwurf der Übertreibung auszusetzen, indem ich Herrn Halles Kapelle als eine der ersten der Welt überhaupt, so weit ich sie kenne, erkläre. (5.12.1878, Signale für die musikalische Welt)

Dieser unumschränkte Herrscher der potenzierten Technik, Meister aller Stile, von Bach bis Liszt. (8.2.1861, Neue Zeitschrift für Musik)

Dr. von Bülows Technik ist absolut perfekt, aber in einer Art, wie wir es nie zuvor realisiert haben, eine Technik, hinter der eine intellektuell feine, spirituelle Energie steckt. Der bemerkenswerteste Zug seines Spiels ist die Kraft der tonlichen Gestaltung, voll, frei, ausdrucksstark, abgestuft in jeder Lautstärke und Farbe. Jeder Ton ist zu hören und hat sein Gewicht. Die Klarheit der Wiedergabe ist eine Offenbarung. (30.10.1875, Dwight’s Journal of Music, Boston)

Er dringt wie ein Mann von außerordentlichem Intellekt in die Kompositionen Beethovens ein. Seine Interpretation zeigt Korrektheit und Klarheit, erfüllt alle Wünsche. Aber warum reißt er uns nicht mit, warum inspiriert er uns nicht? … Wenn er Beethoven spielt, hört man Beethoven, nicht Bülow. Aber ist sein Spiel emotional, rührt es uns an, vergießen wir Tränen? … Rubinstein erregt Leidenschaften, von Bülow nur Bewunderung. (27.11.1875, Music Trade Review New York)

Es gilt z.B. eine Bassfigur, die nach den Normen der höheren Vortragskunst nicht als ganz wohlgeraten bezeichnet werden konnte, umzumodeln; Bülow glossierte die Figur, in dem er sie mit Fafner und Fasolt in Vergleich stellt, und im Augenblick löst die Erinnerung an die Eigenart dieser beiden Gesellen die richtigen Impulse aus dem Handgelenk der Spielerin aus. ... Wir gelangen an einen Absatz, in welchem das Passagenwerk überwiegt; da erörtert Bülow den Gattungscharakter der einzelnen Läufe, definiert den einen als lyrische, den anderern als pathetische Koloratur, den dritten als blumiges Arabeskenwerk. ... So gibt Bülow zugleich mit seinen Klavierstunden wirkliche Kunststunden, in denen selbst die scheinbar unbedeutende Einzelheit aus dem Gesichtspunkte einer weitblickenden Ästhetik betrachtet wird. (März 1885, der Musikreferent Alexander Moszkowski im Deutschen Montagsblatt über Bülows St. Petersburger Klavierkurse)

ES ist einerseits ebensosehr seine immense Technik, die keine Schwierigkeiten kennt, wie andererseits die geistige Durchdringung des Vorgetragenen, der große Horizont, der sich kundgibt, dieses große, freie Bewusstsein, welche imponieren und, wie wir erfahren haben, das Publikum fortreißen. … Er besitzt nicht in dem Grad den sinnlichen Zauber früherer Meister, es ist nicht in solcher Weise das blühende, warme Leben, und dementsprechend die Mannigfaltigkeit der Schattierungen vorhanden, wie bei jenen. Dafür aber ist v. Bülow ein anderes Bereich angewiesen, wo er selbstständig auftritt, so neu und eigentümlich, dass ich offen bekenne, wie er darin keiner Ansicht nach, noch keinen Vorgänger gehabt hat: das ist die geistige Macht im Vergleich mit den Vorgängern nicht eine sinnliche oder seelische Eigentümlichkeit, sondern die Macht der Intelligenz, das Bewusstsein, der große geistige Horizont, die Klarheit. (17.4.1857, Der Musikkritiker Franz Brendel in der Neuen Zeitschrift für Musik)

Es ist nicht die Klarheit, die unfehlbare Technik, das außerordentliche Gedächtnis allein, wodurch wir gefesselt werden. Alle diese Vorzüge treten noch zurück vor durchgeistigten Auffassung und dem objektiven Darstellungsvermögen, Kraft dessen uns jedes Werk in seiner besonderen Eigentümlichkeit wieder neugeboren wird. (28.11.1873, Neue Zeitschrift für Musik)

Es war ein ebenso origineller als praktischer Einfall meines Bevollmächtigten, Herrn Hermann Wolff, mir zum Abschied von Christiania daselbst ein populäres Konzert zu arrangieren, d.h. populär hinsichtlich der Eintrittspreise, nicht hinsichtlich des Programms. Denn in diesem figurierten neben drei Werken Beethoven's op. 28,34, 110, auch Fugen von Mendelssohn und Raff, Stücke von Bach, Brahms und Mozart und nur „zum Dessert“ das mir künstlerisch gerechtfertigt erscheinende polnisch-ungarisch-russische Panaschee Chopin-Liszt-Rubinstein. Die quantitative und qualitative Teilnahme der Hörer – dem schönen Wetter ins Angesicht – bestätigte meine hohe Meinung von dem norwegischen Publikum. (8.5.1882, Signale für die musikalische Welt)

Für Bülow ist sein Bechstein, je nach Laune und Stimmung, eine Kanzel, ein Katheder, eine Rednertribüne, ein Idealtheater in Arkadien. ... Er singt wie eine ideale Mozart-Sängerin, instrumentiert wie Hector Berlioz und dirigiert wie er selbst am Klavier. ... Er hatte eine kleine Hand; er brachte es durch eisernen Fleiß dahin, jede auch noch so weit ausgelegte Arpeggie gleichmäßig rein und klangschön auszubreiten. Er trillert mit dem vierten und fünften Finger ebenso vollkommen wie mit Daumen und Zeigefinger. ... Bülows Hand ist an sich eine Merkwürdigkeit: sie hat im Grunde gar keinen „vierten“ und „fünften“ sondern fünf „erste“ Finger. Man beobachte sie, wie sie gelegentlich eines lang ausgehaltenen Akkordes auf den Tasten ruht oder bei hurtigen Läufen graziös über die Klaviatur hing leitet. ... Das Wort „unklaviergemäß“ kennt Bülow nicht. Die widerhaarigsten, sprödesten Stellen in den Sonaten des letzten Beethoven, in Schumann’schen und Brahms’schen Charakterstücken bringt er mit Leichtigkeit heraus. ... Bülows Spiel ist durchaus orchestral. ... Er spielt stets Partitur, auch wenn er nur ein Klavierstück reproduziert. ... Für diese unschätzbaren Vorzüge des Kapellmeister-Spieles nimmt man etliche wenige Menschlichkeiten gern mit in Kauf; so das nicht ganz präzise Zusammenschlagen beider Hände. Von einem Mangel an Schneidigkeit kann bei dem meisterlichsten aller Rhythmiker keine Rede sein, ebenso ist keine Willkür die Ursache davon, sondern allein der Wunsch, das Ineinander-Wirken der Motive plastisch darzustellen. Ähnliche Absichten liegen den mitunter etwas auffallenden Tempo-Rückungen, den vor Beginn einer neuen Phrase oder vor überraschenden Ausweichungen in andere Tonarten eingestreuten Minimalpausen, „Bülow’schen Kommata“ zu Grunde. (1888, der Kunstschriftsteller Hans Marsop in „Nord und Süd“)

Hans zeigt offensichtlich eine ganz seltene Musikalität. Sein ausübendes Talent wird ihn leicht den Rang der größten Pianisten erreichen lassen; seine Kompositionsversuche zeigen außergewöhnliche Fantasie. Individualität und Gestaltungskraft. (28.9.1850 Liszt an FB)

Ich bitte die Zischenden, den Saal zu verlassen, es ist hier nicht üblich zu zischen. (14.1.1859 nach Unmutsbekundungen nach Liszts „Die Ideale“)

In Kopenhagen macht der fremde Musiker seine erste Aufwartung bei Meister Niels W. Gade. So tat auch ich, hoch erfreut, den herrlichen Künstler und Menschen wieder zu begrüßen, der mir einmal vor 26 Jahren, dann vor 19 Jahren nochmals, bei Gelegenheit eines tendenzlosen, d.h. klavierlosen Touristenbesuchs die freundlichsten Aufmerksamkeiten erwiesen, mir die Museen durch seine Begleitung so interessant und belehrend, kurz, so erinnerungsreich gestaltet hatte. Ich fand ihn in überraschend kräftigem, ja jugendlichem Wohlsein. ... Nicht umsonst mahnt sein Profil so frappant an das Mozarts; die Ähnlichkeit kam mir heute noch ausgeprägter vor, als vor einem Vierteljahrhundert, denn auch Mozartische Elastizität des Geistes lebt und webt in ihm. Sehr glücklich machte mich seine Zustimmung zu meiner Interpretation der Beethovenschen Werke, speziell der Symphonien, bezüglich welcher ich mein Herz ausschütten konnte, wie Keinem zuvor. ... Auch dem Kopenhagener Theaterpublikum schien Montag Mittag 1 Uhr mein „kühnes“, „monotones“ Beethoven-Programm zu behagen. Ich spielte das vierte und fünfte Klavierkonzert und als Solonummer dazwischen die f-moll Sonate op. 57. Mit der Orchesterbegleitung hatte ich – nach nur einer Probe – alle Ursache zufrieden zu sein. „Die Herrschaften haben ihr Möglichstes getan“, pflegt Brahms zu sagen. (18.4.1882, Signale für die musikalische Welt)

In meinem gestrigen Abschiedskonzerte spielte ich – es fand im königlichen Opernhause statt – wiederum mit Orchester und zwar Liszts nach schöpferische, genial pietätvolle Bearbeitung der Schubertschen Phantasie op. 15 und seine andernwärts schon etwas abgedroschene ungarische Rhapsodie. ... Statt des erkrankten ersten Kapellmeisters, Herrn Dente, dirigierte der zweite, Herr Nordquist und zwar ganz ebenso vortrefflich. Meine hohe Meinung von der Leistungstüchtigkeit der Hofkapelle empfing erneute Bestätigung. (10.5.1882, Signale für die musikalische Welt)

Nur ein Punkt ist es, welchen ich den skandinavischen Musikern zur Beherzigung empfehlen möchte. Da sie denn doch nicht bloß zu den abendländischen im Allgemeinen, sondern insbesondere zu den germanischen Musik-Volksstämmen zählen, so bildet ihre verhältnismäßige Unbekanntschaft mit Johannes Brahms eine recht empfindliche Lücke ihres sonst so hohen Kunstbildungsniveaus. ... Ich muss es mir an dieser Stelle versagen, selbst nur andeutungsweise von der unermesslichen Tragweite der Konsequenzen zu sprechen, welche aus einem rationellen Brahms-Kultus für die musikalische Entwickelung des so hochbegabten Volkes sich ergeben würden. (14.5.1882, Signale für die musikalische Welt)

Nur wenige sind wie er im Stande, die mystischen Tiefsinnigkeiten der belegten Werke [= Beethoven-Sonaten 101, 106, 109, 110, 111] zu durchdringen. ... Als das einzig Bedenkliche bei der Produktion, wie sie Herr von Bülow beliebt, erscheint das Zuviel mit einem Male. (12.3.1879, Signale [Leipzig])

Rubinstein würde zwar noch einzelne großartigere Wirkungen erzielen, doch als Ganzes, als getreueste Darlegung des wunderbaren Organismus dieser großen Tongebilde bis in ihr feinstes Geäder bleibt doch Bülows Interpretation einzig und unübertroffen. (4.2.1887, Deutsche Zeitung Wien über einen Beethoven-Abend)

Sie tun nicht Recht daran, mich so zu verwöhnen und zu feiern: ich könnte mir sonst selbst als Jubelgreis vorkommen, was ich gar nicht sein will. Vielmehr hoffe ich, dieser Stadt, in welcher ich selbst vor 37 Jahren meinen ersten Erfolg errang, und wo man, wie die Ernennung Brahms’ zum Ehrenbürger beweist, die Kunst und ihre Meister ehrt, noch zehn Jahre meine Kraft widmen zu können und denke gar nicht daran, von Hamburg fortzugehen, wie von Zeit zu Zeit von gewisser Seite ausgesprengt wird. [8.1.1890, Rede an das begeisterte Publikum in Hamburg nach einem Konzert an seinem 60. Geburtstag)

Unter tausend Alltagsköpfen, die sich auf einem Platze zusammendrängen, sticht der Kopf eines Mannes hervor, dessen charakteristische Physiognomie nie wieder vergessen werden wird, wer sie einmal gesehen. Die hohe ausgebreitete Stirn spricht von ungewöhnlichem Verstande und eiserner Willenskraft. ... So erscheint Bülow als der inkarnierte Inbegriff des modernen musikalischen Bewusstseins. ... Ein Idealist von reinstem Wasser, verwechselt er nur zu gerne das Unbedingte mit dem Bedingten, das Reich der Gestalten mit dem der Körper, und da er die Menschen nach seinem Geschmacke nicht umzubilden vermag, gewährt es ihm eine Art misanthropischer Genugtuung, wenn er sie wenigstens äußerlich zur Anerkennung des Guten zwingt, wobei er ihnen indirekt zu verstehen gibt, wie gering er von ihnen denkt. Er maßregelt sie durch künstlerische Gewaltakte und gibt die Vernunft, welche sie wie eine bittere Medizin verschmähen, ihnen nicht mehr in Löffeln ein, sondern gießt sie ihnen lieber gleich in Eimern über den Hals. Dann schütteln sie sich wie gebadete Pudel und lecken ihrem gefürchteten Erzieher dankbar die strengen Hände. ... Man konnte in seinen beweglichen Mienen lesen, wie in einer Partitur. Gleich einem vom Katheder herab dozierenden Professor hat Bülow die eigentümliche Angewohnheit, sein Auditorium im Auge zu behalten, um die Aufmerksamen noch mehr zu fesseln, die Unaufmerksamen anzuspornen und mit scharfen Blicken zu verfolgen. Zuweilen, wenn ihn der Gegenstand seines Vortrages hinreißt, zieht er sich ganz in sich zusammen und scheint in das Klavier förmlich hineinzukriechen, sodass beinahe nichts mehr als die Frackschwänze von ihm zu sehen sind. Kleine Sonderbarkeiten eines großen Mannes! (13.2.181, Max Kalbeck in der Wiener Allgemeinen Zeitung)

Viel hätte ich letzten Sonnabend darum gegeben, mein Recital in Brighton rückgängig machen zu können! Denn zur selben Zeit wurde im Kristallpalast Berlioz' Haroldsymphonie zum ersten Male aufgeführt, die ich gar zu gerne nach fünfzehnjähriger Entbehrung wieder gehört hätte. Wie ich zu meiner großen Freude erfahre, hat das Werk unerwartet lebhaften Anklang gefunden und soll Herr Kapellmeister Manns sich um sorgfältige Einstudierung desselben sehr verdient gemacht haben. ... Gestern Abend spielte ich in Birkenhead unter Anderem Hummel's Septett, ein lebensfrisches Kabinettsstück, dessen Wertschätzung nicht bloß dem spezifischen Pianisten obliegt. Es ist vielleicht das glücklichste Spezimen der Vermischung zweier Kunststile, nämlich des Konzert-und des Kammerstils, das die Musikliteratur aufzuweisen hat, und unter den Neueren hat nur Joachim Raff Ähnliches mit Gelingen versucht. Die Aufführung war eine – erträgliche. Nur der Hornist verbreitete einen starken Geruch von Sterblichkeit, sagen wir deutlich Whisky. Infolge dessen sah er seine Noten nur halb, glücklicherweise die Pausen aber doppelt, so dass etliche „Kieckser“ erspart blieben und ich seine wesentlichen Eintritte in meinem Parte markieren konnte. (3.12.1878, Signale für die musikalische Welt)

Was bedeutet das Opfer, mein Klavier 24 Stunden lang unter Schloss und Riegel zu halten, im Vergleich zu der Himmelswohltat einer ebenso langen Gehirns-Unabhängigkeit? 52, sage zweiundfünfzig Tage im Jahre bin ich hier assekuriert gegen die Nervenvergiftung durch die Klavierseuche im Hause und die Leierkastenpest auf der Straße. Ich vermag meine Gedanken zu sammeln, meine Korrespondenz zu ordnen, ich vermag mich der Erbauungslektüre von den uns so selten aus Zeitmangel zugänglichen „heiligen Partituren“, den hohen Messen eines Bach, Cherubini, Beethoven, den Requiem eines Berlioz und Brahms ungestört hinzugeben, nicht wie in Deutschland in steter Todesfurcht vor der Erschütterung durch die Hausklingel, die müßiges Bettelvolk von verschämten und unverschämten Pianisten und Komponisten meldet, welche man empfängt – um sie für den nächsten Sonntag los zu sein. (...) Die Choral Union in Glasgow hat mit richtigem Takte und Geschmacke Herrn Macfarren nach der in England unerlässlichen kirchlichen Taufe durch Händels Messias – um die Einweihung der neuen Konzerthalle durch die erste Aufführung seiner großen dramatischen Cantate „The Lady of the Lake“ (nach Walter Scotts Dichtung, die auch Rossinis Oper „La Donna deI Lago“ zu Grunde liegt) ersucht und für diese Gunst das ebenso wenig illiberale als übermäßige Honorar von hundert Guineen offeriert. Erst am dritten Abende, Freitag 16. November wird Ihr Korrespondent sein Amt mit einer Beethoven-Feier antreten. (...) Durch etwaige Lokalkorrespondenten können Sie ebenso gut erfahren, dass unsere Konzerthalle für 2800 Personen inkl. Mitwirkender behaglichsten Platz hat, dass sie, was allerdings erst zu erproben, akustisch so glücklich ausgefallen scheint, dass ich glaube, die numerisch nicht eben imposante Zahl der Streichinstrumente: 18 Violinen, 6 Bratschen, 6 Violoncelle, 5 Bässe, werde völlig genügen. Es befinden sich nämlich unter diesen sämtlich von London verschriebenen Künstlern weder Invaliden, noch Halb-, noch Viertelsinvaliden. Doch ich lege jetzt die Feder nieder. Nachdem ich so viel über Andere räsoniert und mich lustig gemacht, ist es billig, dass mir von Anderen das Gleiche geschehe ... (11.11.1877, Signale für die musikalische Welt)

Wir können uns nicht erinnern, ein gewaltigeres Beispiel der Beherrschung einer Menschenmenge durch Willenskraft, Können und Leidenschaft erlebt zu haben. … Die nervöse Spannung des Pianisten kannte kein Nachlassen; es war kraftvoll und vital vom Anfang bis zum Ende. Und unbeschadet, wie viele Hörer am Ende das Gefühl eines Genusses hatten, war es nach ehrlicher, allgemeiner Überzeugung ein Triumph. (25.4.1889, Philadelphia Evening Telegraph)
Zu allererst kann man von ihm lernen, wie unendlich wichtig es ist, sich um die kleinen Dinge zu kümmern. Jeder Ton hat seinen Platz. Das Eindrucksvollste von Bülows Spiel ist, wie er uns vergessen lässt, dass er Klavierspielen kann. Wir haben große und selbst größere Pianisten gehört, als er es ist, uns wurden große, selbst größere Wiedergaben von Orchesterwerken geboten, als er sie uns bot, aber nichtsdestoweniger ist er eine Erscheinung von hoher musikalischer Bedeutung, und er hat einen tiefen Eindruck hinterlassen. (8.5.1889, The Musical Courier, New York)

Zum Nutz und Frommen anderer „Klaviervagabunden“ beiderlei Geschlechts darf ich nicht unerwähnt lassen, dass es bei vorgerücktem Frühlingswetter, vom geschäftlichen Gesichtspunkte aus betrachtet, nur ein schöner Luxus ist, in dänischen Provinzialstädten zu konzertieren, welche, wie Odense, des Märchendichters Andersen unansehnliche Geburtsstadt, oder das sehr lieblich gelegene, auch elegante Aarhus, nur den zehnten Teil der Bevölkerung der Hauptstadt aufweisen können. Gern hätte ich mich den zahlreichen Abwesenden angeschlossen, welche das „Ozon“ in reinerer Dosis außerhalb des Konzertsaales einzunehmen vorzogen, allein die Aufmerksamkeit und freundliche Empfänglichkeit der Anwesenden ließ es mich doch nicht bereuen, zwei Stunden für sie Klavier „geschwitzt“ zu haben. (23.4.1882, Signale für die musikalische Welt)

[C = Cosima
W = Richard Wagner
FB = Franziska von Bülow, Bülows Mutter
MS = Marie Schanzer, Schauspielerin, zweite Ehefrau