Giacomo Meyerbeer
Komponist
* 5. September 1791, Tasdorf bei Berlin/ † 2. Mai 1864, Paris
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Giacomo Meyerbeer |
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Meyerbeer wurde als Jacob Liebmann Beer als das Kind eines sehr wohlhabenden jüdischen Bankiers während einer Reise seiner Mutter von Berlin nach Frankfurt/Oder geboren. Sein Vater Judah Herz Beer war Vorsitzender der jüdischen Gemeinde von Berlin, die Eltern unterhielten in ihrem Wohnhaus eine private Synagoge. Dennoch praktizierte Meyerbeer in späteren Lebensjahren nicht den jüdischen Glauben; er ignorierte den Sabbat und besuchte Synagogen nur aus Anlass von Trauerfeiern. Aber im Unterschied zu vielen jüdischen Künstlern seiner Generation konvertierte er nicht zum Christentum. Alle Kinder der Familie Beer wurden privat erzogen. Meyerbeer erhielt seinen ersten Klavierunterricht von Franz Lauska, einem Schüler von Albrechtsberger, Kompositionsunterricht erteilte Antonio Salieri. Er setzte 1810-1812 seine Ausbildung bei Abbe Vogler in Darmstadt fort, wo er zusammen mit Carl Maria von Weber unterrichtet wurde. Seit dem Tod seines Großvaters 1811 nannte er sich Meyer Beer, später Meyerbeer. Trotz erster Erfolge als Komponist in Deutschland, ging Meyerbeer nach Italien, wo er von 1816 bis 1825 lebte. Seit dieser Zeit führte er den Vornamen Giacomo. In Italien komponierte er fünf Opern, die stilistisch noch eng an sein großes Vorbild Gioachino Rossini angelehnt waren. Seine letzte italienische Oper "Il crociato in Egitto" (Der Kreuzritter in Ägypten) wurde bereits mit grossem Erfolg in Paris aufgeführt. Meyerbeer entschied sich jetzt, seine Karriere in Frankreich fortzusetzen, ein Ziel, auf das er bereits seit längerer Zeit hingearbeitet hatte. Seit seiner Hochzeit mit Minna Mosson lebte Meyerbeer abwechselnd in Paris und Berlin. Seine Ehefrau blieb jedoch mit den Kindern dauerhaft in Deutschland, so dass Meyerbeer regelmäßig zwischen Paris und Berlin pendelte. Seit 1827 entstand in Paris seine Oper "Robert le diable" (Robert der Teufel) in Zusammenarbeit mit dem Librettisten Eugene Scribe. Zunächst war geplant, dieses Bühnenwerk in einer Version mit drei Akten der Opera Comique anzubieten. Als Meyerbeer von den finanziellen Schwierigkeiten dieses Theaters erfuhr, wurde "Robert le diable" nach den Erfordernissen der Grand Opera in eine Oper mit fünf Akten umgearbeitet. Auch ergänzte Meyerbeer die für diese Operngattung gewünschte Tanzszene: ein "Ballett der Nonnen", die um Mitternacht auf einem Friedhof tanzen. Erstmals wurde hier in der Grand Opera das damals noch neuartige "ballett blanc" gezeigt.
Mit der Uraufführung am 20. Juli 1832 konnte sich Meyerbeer als wichtigster Vertreter der Gattung der "grand opera" etablieren. Der Erfolg von "Robert le diable" führte zu zahlreichen Ehrungen: Meyerbeer wurde zum Ritter der Ehrenlegion ernannt, der Preußische König Friedrich Wilhelm III., der die zweite Aufführung in Paris besucht hatte, ernannte ihn zum Königlichen Hofkapellmeister. Ein Jahr später wurde Meyerbeer von der Preußischen Akademie der Künste in Berlin als ordentliches Mitglied aufgenommen.
Nach dem Erfolg des "Robert" erhielt Meyerbeer sofort einen weiteren Kompositionsauftrag von der Grand Opera. Seine Wahl fiel nach längerem Zögern auf die "Bartholomäus-Nacht" als Stoff für das neue Werk. Da sich die Komposition verzögerte, bezahlte Meyerbeer im September 1833 eine Konventionalstrafe, um seine Arbeit ungestört fortsetzen zu können. Meyerbeer legte die gewaltige Summe von 30.000 Franc in bar auf den Schreibtisch des Operndirektors und reiste anschließend mit seiner Frau nach Italien. Die Uraufführung von "Les Hugenots" am 29. Februar 1836 wurde einer der größten Bühnenerfolge des 19. Jahrhundert. Die Pariser Oper erzielte mit diesem Werk die höchsten Einnahmen in ihrem Bestehen. Wenig später war "Les Hugenots" auf allen bedeutenden europäischen Bühnen zu sehen. In katholischen Ländern wurde jedoch der Titel von der Zensur manipuliert, um das einheimische Publikum nicht zu provozieren. So hieß "Les Hugenots" bei der Wiener Premiere im Theater in der Josephstadt im Juli 1839 "Die Ghigellinen in Pisa", in München "Die Anglicaner und die Puritaner".
Nach der Aufführung der "Hugenotten" in Leipzig veröffentlichte Robert Schumann im September 1837 in der von ihm selbst herausgegebenen Neuen Zeitschrift für Musik einen Verriss dieser Oper, der von antisemitischen Ressentiments geprägt war. Schumann warf Meyerbeer "höchste Nicht-Originalität" vor und behauptete damit, Meyerbeers Musik beruhe auf dem bloßen Kopieren und Nachahmen anderer Komponisten. Als alleinige Eigenart Meyerbeers nannte Schumann dagegen einen "fatal meckernden, unanständigen Rhythmus" der Musik, eine offenkundige Anspielung auf den Synagogen-Gesang, der angeblich in Meyerbeers Opern omnipräsent war. Schumann hat damit Argumentationen vorweggenommen, die Wagner in seiner Schrift "Vom Judenthum in der Musik" 13 Jahre später wieder aufgreifen sollte. Auch in der französischen Presse erschienen jetzt erstmals antisemitisch gefärbte Angriffe gegen Meyerbeer. Im Courrier des Theatres war im Sommer 1839 zu lesen: "Das Judenthum schließt uns von allen Seiten ein, es besetzt alle Stellen, wo die Schönen Künste eine Ausbeutung erlauben, die sich in Geld umsetzen läßt". Meyerbeer berichtete darüber in einem Brief an seine Frau in Berlin und sprach erstmals von "Richesse", "Juden-Haß" gegen seine Person.
Richard Wagner schrieb am 4. Februar 1837 an Meyerbeer einen Brief aus Königsberg, wo er eine Anstellung als Kapellmeister erhalten hatte. Er stellte sich junger Komponist vor, der noch nicht ganz 24 Jahre alt war und seit sechs Jahren sein Leben der Musik bestimmt habe. Wagner hatte bereits im August 1836 an Meyerbeers Librettisten Scribe einen Entwurf für den "Rienzi" gesandt, mit der Bitte, daraus ein Textbuch für eine französische Oper zu erstellen. Scribe hatte Wagner nicht geantwortet, doch Wagner schickte inzwischen die Partitur seiner kurz zuvor in Magdeburg uraufgeführten Oper "Das Liebesverbot" nach Paris, damit Meyerbeer das Werk begutachten konnte. Das Antwortschreiben Meyerbeers hat Wagner nicht mehr erreicht, da er bereits wenig später Königsberg wieder verlassen hatte.
Brief Wagners an Meyerbeer, 4. Februar 1837
Zur einer ersten persönlichen Begegnung zwischen Wagner und Meyerbeer kam es jedoch erst am 20. August 1839 im Badeort Boulogne-sur-Mer, wo sich Meyerbeer zur Kur aufhielt. Wagner, der vor seinen Gläubigern nach Frankreich geflohen war, wartete dort auf Meyerbeer. An seinen Freund Avenarius schrieb Wagner wenig später über dieses Treffen:
"nur so viel, daß ich keinesfalls so lange in Boulogne geblieben sein und die englischen Preise bezahlt haben würde, wenn nicht ein glückliches Ungefähr es gefügt hätte, daß ich Meyerbeer hier antreffen sollte, der mir bei meinen Vorhaben von unermeßlicher Wichtigkeit werden kann, und mit dem ich mich auch bereits so gut wie möglich liiert habe".
Wagner konnte bei dieser Gelegenheit auch seine Oper "Rienzi" präsentieren. Meyerbeer versprach Wagner, ihm weiterzuhelfen. Tatsächlich förderte Meyerbeer nach seiner Rückkehr nach Paris im Oktober 1839 Wagner auf vielfältige Weise. Er arrangierte Gesprächstermine, begleitete ihn persönlich bei Verhandlungen, da Wagners französische Sprachkenntnisse völlig ungenügend waren, und er unterstützte Wagner auch finanziell, nachdem er am Beginn des Jahres 1840 wieder zu seiner Frau nach Deutschland gereist war. Wagner, der in Paris bleiben musste, bedankte sich dafür überschwänglich.
Wagner an Meyerbeer, 15. Februar 1840
Als Wagner im Dezember 1840 die Partitur des "Rienzi" der Hofoper in Dresden anbot, bat er Meyerbeer um Hilfe. Meyerbeer schrieb wenig später an den Dresdner Intendanten Lüttichau und empfahl Wagner, als "jungen, interessanten Landsmann", der "viel Phantasie" habe und dessen Oper "von viel dramatischer Wirkung" sei. Später versuchte Meyerbeer, die Uraufführung des "Fliegenden Holländer" an der Königlichen Oper in Berlin durchzusetzen. Er traf sich mit dem Generalintendanten Redern zum persönlichen Gespräch, zwei Tage später schickte er die Partitur des "Fliegenden Holländer" mit einem Begleitschreiben an die Hofoper:
"Beifolgend nehme ich mir die Freiheit die Partitur und den Text (. . .) der Oper ´Der fliegende Holländer´ von Richard Wagner zu übersenden. Ich hatte vorgestern bereits die Ehre, Ew. Hochgeboren von diesem interessanten Tondichter zu unterhalten, der durch sein Talent und seine äußerst beschränkte Lage doppelt verdient, daß die großen Hoftheater als offizieller Beschützer deutscher Kunst ihm nicht ihre Szenen verschließen. Ew. Hochgeboren hatten auch die Güte, mir zu versprechen, daß Sie ihm durch einige Zeilen dem Empfang der Partitur und Dero Geneigtheit diesselbe zu prüfen anzeigen würden".
Abermals bedankte sich Wagner für diese Hilfe. Aus Paris schrieb er an Meyerbeer wenig später:
"Ach, wenn Sie wüßten, welche unermeßliche Wohltat Sie mir dadurch angedeihen ließen! Wenn Sie empfinden könnten, zu welch überschwenglichem Dankgefühl Sie mich durch diesen so einfach an den Tag gelegten und deshalb so hoch ehrenden Beweis Ihrer Theilnahme hinreißen! Ich in alle Ewigkeit nicht Anderes gegen Sie aussprechen dürfen, als Dank! Dank!"
Zudem verfaßte Wagner jetzt einen längeren Aufsatz über Meyerbeers Bühnenwerke und seine Bedeutung für die Musik der Gegenwart. Wagner hat diesen Text jedoch nicht veröffentlicht, sondern an Meyerbeer zur persönlichen Verwendung geschickt. Wagner feierte hier Meyerbeer als universellen Komponisten, der nationale Grenzen überschritten habe. Gerade damit sei er jedoch ein deutscher Künstler:
"Meyerbeer schrieb Weltgeschichte, Geschichte der Herzen und Empfindungen, er zerschlug die Schranken der National-Vorurtheile, vernichtete die beengenden Grenzen der Sprach-Idiome, er schrieb Thaten der Musik, Musik, wie sie vor ihm Händel, Gluck und Mozart schrieben, und diese waren Deutsche und Meyerbeer ist ein Deutscher".
Mit dieser Eloge verfolgte Wagner abermals eigennützige Ziele. Er schrieb diesen Text, als er davon erfahren hatte, dass Meyerbeer möglicherweise neuer Berliner Generalmusikdirektor werden sollte. Wagner wollte sich für diesen Fall die Unterstützung Meyerbeers sichern. Wie er dagegen tatsächlich über Meyerbeers Internationalität dachte, belegt ein Brief, den er an seinen jüdischen Freund Samuel Lehrs am 7. April 1843 aus Dresden schrieb:
"europäisch können wir Opern-Componisten nicht sein, - da heißt es - entweder deutsch oder französisch! Man sieht ja, was so ein Hans-Narre, wie der Meyerbeer uns für Schaden macht; - halb in Berlin, halb in Paris bringt er nirgends etwas zu Stande, am allerwenigstens in Berlin; - wie scheuslich es dort steht, ist gar nicht zu beschreiben: das kommt davon, wenn man den Mantel so nach allen Winden hängen lassen muß".
Nachdem Wagner in Dresden als Hofkapellmeister eine gesicherte Stellung einnehmen konnte, war er auf die Förderung Meyerbeers nicht weiter angewiesen. Als er im November 1846 Meyerbeer dennoch um ein Darlehen von 1.200 Talern anbettelte, lehnte dieser ab. Wagner hat diese Episode weder in seinen Briefen noch in seiner später erschienen Autobiographie mehr erwähnt, doch äußert sich Wagner in den folgenden Jahren zunehmend abwertend und gehässig. Als er sich im September 1847 in Berlin aufhielt, um den "Rienzi" an der Hofoper einzustudieren, schrieb er an seine Frau Minna: "Gestern besann ich mich endlich auch, daß es die höchste Zeit sei mich bei Meyerbeer zu melden, der auch hier ist: - ich traf ihn nicht und brachte vorläufig eine Karte an: - der wird wahrscheinlich auch nicht überglücklich über meinen ´Rienzi´ sein!" Wenig später hieß es: "Heute bin ich bei Meyerbeer zu Tische! Der reist bald ab; desto besser!"
Am 16. April 1849 kam Meyerbeers nächstes großes Bühnenwerk in Paris zur Uraufführung: "Le prophete", eine Oper über das Gewaltregime der Wiedertäufer in Münster. Einen besonderen szenischen Höhepunkt bot das Finale des dritten Aktes. Während der Belagerung Münsters steigert sich der Anführer der Wiedertäufer in eine ekstatische Vision: Als die Sonne aufgeht, sieht er sich als der kommende König von Zion. Dieser Sonnenaufgang, die sogenannte "Propheten-Sonne", wurde durch eine technische Neuerung realisiert: dem ersten Einsatz von elektrischer Beleuchtung im Theater. Meyerbeer ließ nur für diese Inszenierung von dem berühmten Physiker Leon Foucault eine neuartige Licht-Bogenlampe konstruieren, die elektromagnetisch regulierbar war. Damit war es im Unterschied zur gebräuchlichen Gasbeleuchtung erstmals möglich, schlagartig die Lichtverhältnisse auf der Bühne zu verändern. Die Wirkung war umso drastischer, da dieser Scheinwerfer frontal in den Zuschauerraum gerichtet wurde. Dabei verzichtete Meyerbeer darauf, diese Lichtwirkung musikalisch vorzubereiten oder nachzuvollziehen, wodurch dieser Sonnenaufgang als absoluter szenischer Effekt zur Wirkung kam. Auf Wagner hat dieser Einsatz der Beleuchtung einen bleibenden Eindruck gemacht. Für das Finale des "Rheingold", zum Einzug der Götter in Walhall, der dramaturgisch dem dritten Akt des "Propheten" sehr ähnelt, hat der diesen Effekt übernommen: Nach einem Hammerschlag erscheint plötzlich "in hellsten Glanze" die Regenbogenbrücke, auf der Wotan voranschreitet.
Meyerbeer und Wagner begegneten sich im Sommer 1849 völlig überraschend in Paris auf der Straße, ohne sich länger zu unterhalten. Anschließend erkundigte sich Meyerbeer bei Freunden in Deutschland, ob es richtig sei, dass Wagner wegen seiner angeblichen Beteiligung am gewaltsamen Aufstand in Dresden polizeilich gesucht werde. Wagner korrespondierte jetzt regelmäßig mit seinem Freund Theodor Uhlig, einem Geiger in der Hofkapelle von Dresden, der nach Wagners Flucht dessen Manuskripte versteckt hatte. An Uhlig schrieb Wagner am 13. März 1850 über den Besuch einer Vorstellung des "Propheten":
"In dieser zeit sah ich denn auch zum ersten male den Propheten, – den Propheten der neuen welt: – ich fühlte mich glücklich und erhoben, ließ alle wühlerischen pläne fahren, die mir so gottlos erschienen, da doch das reine, edle, hochheilig wahre und göttlich menschliche schon so unmittelbar und warm in der seligen gegenwart lebt. Tadelt mich nicht um diese meinungsänderung: wem es nur um die sache zu thun, der hält an keinem vorurtheile fest, sondern willig läßt er alle falschen grundsätze fahren, sobald er einsieht, daß diese ihm nur durch persönliche eitelkeit eingegeben waren. Kommt das Genie und wirft uns in andere bahnen, so folgt ein begeisterter gern überall hin, selbst wenn er sich unfähig fühlt, in diesen bahnen etwas leisten zu können. Ich bemerke – ich werde immer schwärmen, wenn ich an jenen abend der offenbarung denke: verzeihe mir!"
In seiner Autobiographie hat Wagner diese anfängliche Begeisterung die Oper Meyerbeers verschwiegen. Dagegen veröffentlichte sein Briefpartner Theodor Uhlig in der Neuen Zeitschrift für Musik unter dem Pseudonym "U.T." eine Artikel-Serie über den "Propheten" und eröffnete damit eine regelrechte Kampagne gegen Meyerbeer. Uhlig stellte die Fähigkeiten Meyerbeers als Dramatiker grundsätzlich in Frage und er nahm damit die Argumentation Wagners bis in die Wortwahl hinein bereits vorweg:
"Was ist es denn, wenn es nicht dramatisch ist? denn von Wirkung ist es zuverlässig auf der Bühne. Vorläufig ist auf diese gerechtfertigte Frage nur zu antworten, daß dergleichen Gesangsweisen einem guten Christen im besten Falle gesucht, übertrieben, unnatürlich, raffiniert erscheinen, und es auch nicht wahrscheinlich ist, daß eine mit solchen Mitteln betriebene Propaganda des hebräischen Kunstgeschmacks Erfolg haben sollte".
Als Wagner im September 1850 in der Neuen Zeitschrift für Musik seinen Aufsatz "Das Judenthum in der Musik" publizierte, konnte er an die von Uhlig begonnene Debatte anknüpfen. Nur richtete sich Wagners Text nicht allein gegen Meyerbeer, sondern, wie bereits der Titel deutlich machte, gegen alle jüdischen Musiker. Den besonderen Erfolg Meyerbeers erklärte Wagner, wie zuvor sein Freund Uhlig, durch geschickte Manipulation der Öffentlichkeit und den Niedergang der Musikkultur. Ohne Meyerbeer direkt beim Namen zu nennen, jedoch für alle Leser erkennbar, schrieb Wagner:
"Eine ähnliche Theilnahme vermag aber kein anderer jüdischer Komponist uns zu erwecken. Ein weit
und breit berühmter jüdischer Tonsetzer unserer Tage hat sich mit seinen Produktionen einem Theile unserer Öffentlichkeit zugewendet, in welchem die Verwirrung alles musikalischen Geschmackes von ihm weniger erst zu veranstalten, als nur noch auszubeuten war. Das Publikum unserer heutigen Operntheater ist seit längerer Zeit nach und nach gänzlich von den Anforderungen abgebracht worden, welche nicht etwa an das dramatische Kunstwerk selbst, sondern überhaupt an Werke des guten Geschmackes zu stellen sind. Die Räume dieser Unterhaltungslokale füllen sich meistens nur mit jenem Theile unserer bürgerlichen Gesellschaft, bei welchem der einzige Grund zur wechselnden Vornahme irgend welcher Beschäftigung die Langeweile ist: die Krankheit der Langeweile ist aber nicht durch Kunstgenüsse zu heilen, denn sie kann absichtlich gar nicht zerstreut, sondern nur durch eine andere Form der Langeweile über sich selbst getäuscht werden. Die Besorgung dieser Täuschung hat nun jener berühmte Opernkomponist zu seiner künstlerischen Lebensaufgabe gemacht".
Unmittelbar nach dem Erscheinen von "Das Judenthum in der Musik" begann Wagner mit der Niederschrift seiner umfangreichsten theoretischen Schrift "Oper und Drama", in der er erstmals die Konzept des Gesamtkunstwerks formulierte. Zugleich war "Oper und Drama" die Fortsetzung des Judenthums-Textes. Über Meyerbeer hieß es:
"Als Jude hatte er keine Muttersprache, die mit dem Nerve seines innersten Wesens untrennbar verwachsen gewesen wäre: er sprach mit demselben Interesse in jeder beliebigen modernen Sprache und setzte sie ebenso in Musik, ohne alle andere Sympathie für die Eigentümlichkeiten als die für ihre Fähigkeit, der absoluten Musik nach Belieben untergeordnet zu werden. (. . .) In der Meyerbeerschen Musik gibt sich eine so erschreckende Hohlheit, Seichtigkeit und künstlerische Nichtigkeit kund, daß wir seine spezifisch musikalische Befähigung - namentlich auch zusammengehalten mit der bei weitem größeren Mehrzahl seiner komponierenden Zeitgenossen - vollkommen auf Null zu setzen versucht sind".
Wagner setzte den Kampf gegen Meyerbeer auch in seinem privaten Umfeld fort. Seine Nichte, die Sängerin Johanna Wagner, gehörte zu den bekanntesten Meyerbeer-Interpretinnen auf deutschen Bühnen. Sie hatte bereits bei der Dresdner Premiere der "Hugenotten" große Erfolge erzielt. Nachdem Johanna Wagner 1850 in Berlin im "Propheten" als Fides, der weiblichen Hauptrolle dieser Oper, aufgetreten war, kommentierte dies Wagner: "Ich könnte mich tot ärgern, aber nichts kann ich ändern". Zwei Jahre später erhielt Johanna Wagner, die Tochter seines Bruders Albert, von Meyerbeer einen exklusiven Vertrag. Wütend schrieb Wagner an seine zweite Nichte, Franziska:
"Albert schrieb mir kürzlich unaufgefordert von Johanna's Pariser Kontrakt, und daß dieser sich einzig auf Meyerbeer beziehe: von ganzem herzen habe ich ihm meinen schmerz darüber ausgesprochen, daß gerade auch Johanna, die mir so nahe steht, sich an den habsüchtigen Juden hat verschachern müssen; sie konnte wohl eine edlere Aufgabe für Ihre Jugendkraft haben, als dem modernden Gerippe noch sich aufzuopfern! Kann dieß dem Hans (=Johanna), wenn er mich wirklich so liebt, Genugthuung geben, wenn sie in einem gewissen Sinne geradesweges mich verräth?"
Meyerbeer hat die Angriffe Wagners weder öffentlich noch privat kommentiert. Über die letzte Begegnung mit Wagner im Sommer 1855 in London schrieb er in sein Tagebuch: "Wir grüßten uns kalt, ohne miteinander zu sprechen". Als Meyerbeer am 2. Mai 1864 in Paris verstorben war, erreichte diese Nachricht Wagner einen Tag später in Stuttgart. Es war genau der Tag, an dem Wagner durch den Kabinettssekretär Pfistermeister an Hof Ludwigs II. nach München berufen wurde, für Wagner ein letzter Triumpf, den er in seiner Autobiographie festhielt:
"Über Tisch ward an Eckert telegraphisch der soeben in Paris erfolgte Tod Meyerbeers gemeldet: Weißheimer fuhr mit bäurischem Lachen auf über diesen wunderbaren Zufall, daß der mir so schädlich gewordene Opernmeister gerade diesen Tag nicht mehr hatte erleben sollen".
Auch noch in seinen letzten Lebensjahren blieb Meyerbeer ein ständiger Bezugspunkt für Wagner. Zahlreiche Einträge im Tagebuch Cosimas belegen, wie seine Gedanken auch in alltäglichen Situationen immer wieder Meyerbeer umkreisten. So notierte sie am 10. Mai 1879, einem regnerischen Frühlingstag:
"Der Tag wird noch am Schluß sehr schön; Richard sagt, er wäre neugierig, ob nicht am ´Schabbes´ endlich die Sonne, von Meyerbeer komponiert, herauskäme, und sie kam heraus!"
Hier erkannte Wagner im plötzlichen Sonnenschein, den Lichteffekt aus dem 3. Akt des "Propheten". Ein Jahr später, am 3. April 1880 schrieb Cosima, wie Wagner in einem Traum Meyerbeer noch einmal begegnet war:
"Richard hat gut geschlafen, aber von Meyerbeer geträumt, den er in einem Theater wiedergesehen und der ihm gesagt: ´Ja, ich weiß schon, die lange Nase´, gleichsam als ob Richard sich über seine
Nase lustig gemacht hätte, worauf Richard sich quasi entschuldigt, und das Publikum habe zu der Versöhnung applaudiert".
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